Demo zur Solidarität mit Nawalny: „Russland ist nicht Putin“

REDE

Auf der Demo zum Jahrestag der Verhaftung von Alexei Nawalny: „Nein zu Repressionen und Aggressionen des Kremls“ hat sich Verena Osgyan für Dialogbereitschaft mit Russland ausgesprochen – auch wenn das Geduld erfordert.

Liebe Mitdemonstrierende,

im Februar letzten Jahres hatten wir uns zum ersten Mal am Kornmarkt zusammengefunden, um auf die Lage der politischen Gefangenen in Russland aufmerksam zu machen. Ich bedanke mich an der Stelle ganz herzlich an Frau Milberg, Frau Schlosberg und Herrn Novak für ihr Engagement und die Einladung, heute erneut hier zu sprechen und die Solidarität der Grünen Landtagsfraktion überbringen zu dürfen. 

Damals hatte der Giftanschlag auf den prominentesten russischen Oppositionsvertreter, Alexei Nawalny, und der anschließende Schauprozess dazu geführt, das unzählige Menschen in Russland auf die Straße gingen und ihre demokratischen Rechte einforderten, und eine beispiellose Verhaftungswelle des Putin-Regimes ausgelöst. Das konnte uns auch hier nicht kaltlassen, Frau Schlosberg erzählte damals eindrucksvoll von der Sorge um viele Freundinnen und Freunde in Russland, die von den Verfolgungen betroffen waren, obwohl sie doch nur das getan haben, was wir hier ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen – öffentlich unsere Meinung sagen.

Und ich muss leider sagen, seither ist nichts besser geworden, im Gegenteil. Navalny sitzt nach wie vor in Haft und wurde inzwischen auch von Amnesty International als „gewaltloser politischer Gefangener“ anerkannt. 

Auch, wenn Alexei Nawalny in vielen Belangen wahrlich nicht die Position von uns Grünen repräsentiert, so ist er doch eine wichtige Symbolfigur. Ein Vertreter für alle, die sich für Meinungs- und Presssefreiheit und für eine transparente Politik einsetzen. Die sogar ihr Leben und das ihrer Familien dafür riskieren. Und deshalb werden wir Grüne den Kampf von Alexei Nawalny und den seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter für ein freies Russland unterstützen und uns selbstverständlich für seine Freilassung stark machen!

Und nach wie vor werden alle Proteste gegen das Putin-Regime gewaltsam unterdrückt. Erst Ende Dezember folgte ein neuer Schlag, indem die russische Justiz die Organisation „Memorial International“ wegen angeblicher Agententätigkeit verbot. Die von Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gegründete Organisation hatte erst im Oktober 2021 darauf aufmerksam gemacht, dass derzeit mindestens 420 politische Gefangene in russischen Gefängnissen inhaftiert sind. 

Mittlerweile machen uns aber nicht nur die Repressionsmaßnahmen des Putin-Regimes im eigenen Land große Sorgen. Russland setzt alles daran, auch innerhalb der EU durch nur schlecht verschleierte Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur, Unternehmen und demokratische Institutionen destabilisierend zu wirken.

Anzeichen gibt es seit Jahren, dass Russland nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland massiv versucht, Wahlbeeinflussung zu betreiben. Es gibt dazu mittlerweile sogar eine recht aufschlussreiche Studie zur Landtagswahl in Bayern 2018. 

Erst diesen Herbst hat die frühere deutsche Bundesregierung Russland in ungewöhnlicher Deutlichkeit damit konfrontiert, hinter Cyberattacken auf Bundestags- und Landtagsabgeordnete sowie Desinformationskampagnen im Vorfeld der Bundestagswahl zu stehen. Annalena Baerbock war ihnen offenbar besonders ein Dorn im Auge, es wurde gezielt versucht, sie mit der Streuung von Fake News zu diskreditieren. Davor warnte sogar der deutsche Verfassungsschutz. All diese Vorgänge belasten die Beziehungen zu Moskau schwer. Im vergangenen Jahr hatten zudem alle diplomatischen Bemühungen, die angespannte Lage zusammen mit Russland am Verhandlungstisch zu entzerren, wenig Erfolg.

Dass nun Russland durch die massiven Truppenaufmärsche an der Grenze zur Ukraine nun international wieder offen als Aggressor auftritt, ist jetzt allerdings noch einmal eine ganz neue Eskalationsstufe.

Immerhin ein Lichtblick: Nach langer Zeit kamen die Parteien beim Nato-Russland-Gipfel zum Ukraine-Konflikt zumindest wieder zu Gesprächen zusammen. Man muss leider konstatieren, dass auch diese Gespräche keinen nennenswerten Durchbruch brachten, denn Putin stellt mit seinen Forderungen unüberwindbare Hürden und sieht offenbar nicht, dass er sich damit in eine Ecke manövriert hat, aus der er nicht mehr herausfinden kann. Und so bleibt mir nur zu hoffen, dass der Besuch unserer nunmehrigen Außenministerin Annalena Baerbock nächste Woche in Moskau positivere Ergebnisse bringen wird. 

Sie hat bereits angekündigt, dass es notwendig ist, Russland ein „klares Preisschild“ für seine Eskalation zu zeigen. Die Bundesregierung muss mit ihren EU-Partnern „effektive Maßnahmen“ ergreifen, wenn Russland Energie als „Waffe“ einsetze oder es zu „weiteren aggressiven Handlungen“ komme. Letztlich läuft es damit auf eine Verlängerung und Verschärfung des Wirtschaftsboykotts hinaus.

So schwierig die Lage ist: Wir können und dürfen es uns trotzdem nicht leisten, den diplomatischem Austausch mit Russland abzubrechen. Wir sind ein europäisches Haus – und damit meine ich nicht die Mitglieder der EU-Staaten, sondern alle Länder, die in enger Nachbarschaft miteinander leben. Jeder muss in einer so engen Gemeinschaft Kompromisse eingehen und die Werte des Nächsten respektieren. Der Frieden ist dabei der größte Wert, den es zu bewahren gilt. Dieser muss aber auch jeden Tag neu erarbeitet werden. 

Aber in Konfliktsituationen müssen auch deutliche Worte gefunden werden. Dazu gehört gegenüber Putin die klare Ansage, dass das Projekt Nordstream 2 eingestellt wird, sollten die russischen Truppenaufmärsche an der Grenze zur Ukraine tatsächlich eskalieren. Wenn Russland das Nachbarland angreift und wir uns gleichzeitig energiepolitisch vom russischen Regime abhängig machen, wäre das ein fatales Signal! Auch die Ausweitung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland reichen im Fall eines Angriffs auf die Ukraine als Antwort nicht mehr aus. Wenn unser Europäisches Haus an einer Ecke lichterloh brennt, können wir in den anderen Zimmern nicht so tun als ginge uns das nichts an.

Doch Russland ist nicht Putin. Die Freundschaft mit Russland hat sich vorrangig zu einer Freundschaft der Zivilgesellschaften entwickelt. Gerade als Deutsche muss für uns das Prinzip der Aussöhnung im Geist der Menschenrechte und die Unterstützung von politisch Verfolgten immer im Vordergrund stehen. Deshalb ist es jetzt mehr als angebracht, Solidarität mit all denen zu zeigen die nicht nur in Russland, sondern auch in der Ukraine, in Belarus und in Kasachstan unter Lebensgefahr demonstrieren.

Was geht uns das hier in in Nürnberg an? Viel, finde ich. Als Bürgerinnen und Bürger in der Stadt der Menschenrechte haben wir eine besondere Verpflichtung für die Bevölkerung der Länder einzustehen, in denen diese mit Füßen getreten werden. Nürnberg hat große russische und ukrainische Gemeinden, es sind unsere Familienmitglieder, unsere Freundinnen und Freunde, die in Gefahr sind. Charkiw in der Ukraine ist unsere Partnerstadt, zu der wir seit jeher eine besondere Beziehung pflegen. Wir dürfen im Privaten nicht aufhören, aufeinander zuzugehen, und müssen in der Politik die Türen für einen Dialog offenhalten – auch wenn es schwierig wird und uns viel Ausdauer und Geduld abringt.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf und bedanke mich, dass ich hier sprechen durfte!