PLENARREDE
Sanierungsstau beheben, allen Studierwilligen ein Studium ermöglichen, die Hochschulen endlich ausfinanzieren und den Austausch der Hochschulen in den ländlichen Raum hinein stärken. So sieht für uns Grüne eine zukunftsfähige Wissenschaftspolitik aus. Im vorliegenden Haushaltsentwurf der Staatsregierung kann man davon allerdings recht wenig erkennen, wie Verena Osgyan als hochschulpolitische Sprecherin der Landtagsgrünen in ihrer Rede zur Einbringung des Doppelhaushalts 2017/2018 im Plenum ausführte.
Hier Verenas Rede im Volltext:
Frau Präsidentin,
werte Kolleginnen und Kollegen,
kommen wir jetzt von der schulischen Bildung zur Wissenschaft und zu den Hochschulen. die Staatsregierung brüstet sich auch hier mit dem neuen Doppelhaushalt. Aber in Wirklichkeit steckt wenig dahinter. Betrachten wir allein den Sanierungsstau an den bayerischen Hochschulen und Universitäten: Mit 3 Milliarden Euro beziffert selbst die Staatsregierung laut unserer Anfragen den Sanierungsbedarf. Was wir hier vorfinden ist aber reine Mängelwirtschaft.
Klassische Archäologen verbringen ihren Sommer normalerweise nicht damit, alte Römerschätze zu bergen. Nicht so in Erlangen im Sommer 2013. Nachdem der Deckenputz im Gebäude herabgefallen ist, mussten die Angestellten der Archäologie vielmehr ihre eigenen Schreibtische wieder ausgraben.
Und hier in Erlangen steht auch „Bayerns BER“: das Chemikum. So wie es ursprünglich geplant war, wäre das Gebäude überhaupt nicht für die Nutzung durch das Chemie-Institut geeignet gewesen. Durch massive Planungsfehler ist das Projekt nicht nur teurer als ursprünglich geworden. Es wird auch viel länger brauchen. 2013 sollten die ersten Studierenden hier in ihrer Vorlesung sitzen. Der jetzige Zeitplan sagt 2017. Ich glaube das erst, wenn ich es mit meinen eigenen Augen sehe.
Meine Damen und Herren, sie mögen sich vielleicht wundern, das von einer Grünen zu hören. Aber wir sehen alle: Wir brauchen mehr Beton in Bayern. (PAUSE) Beton, um die Löcher in maroden Universitätsgebäuden endlich zu stopfen.
Kolleginnen und Kollegen,,
3 Milliarden. Das ist eine riesige Summe, die wir stemmen müssen. Die werden wir nicht im Rahmen dieses Doppelhaushaltes bewältigen können. Aber als Sofortmaßnahme müssen wir mehr Geld in den Bauunterhalt der staatlichen Hochschulen und Universitäten stecken. Wenn sie angemessen unterhalten werden, verfallen unsere Hochschulgebäude noch schneller. Am Schluss zahlen wir durch noch teurere Reparaturkosten drauf. Und wir blasen Geld in Form von Heizkosten wortwörtlich in die Luft. Die Staatsregierung muss hier endlich einen Plan vorlegen, wie wir diesen Sanierungsstau beseitigen können.
Und wir brauchen auch mehr Beton, um bezahlbares studentisches Wohnen zu ermöglichen. Denn die Studentenwerke müssen in die Lage versetzt werden, genügend Wohnheimplätze zu schaffen. Sie sind dafür da, auch den Studierenden, die sich nicht die teuren Münchner, Erlanger oder Regensburger Mieten auf dem privaten Markt leisten können, ein Studium zu ermöglichen. Die Mieten in den großen Universitätsstädten Bayerns sind im letzten Jahrzehnt um 30% gestiegen, gleichzeitig sind die Zuschüsse des Freistaats an die Studentenwerke über die Jahre hinweg kontinuierlich gesunken.
Aber Studium darf und soll schließlich nicht am Geldbeutel scheitern! Über 380.000 junge Menschen haben sich dazu entschieden, im Freistaat zu studieren. Das sind 120.000 Mehr als noch 2008.
Aber die Studentenwerke sind nicht nur für Stahl und Beton zuständig:
Sie haben eine wichtige Beratungsfunktion für die Studierenden im Freistaat. Trotzdem sind die Mittel der Studentenwerke, die in den letzten Jahren immer weiter gekürzt worden. Sie sind noch immer unter dem Niveau von vor zehn Jahren. Das darf nicht sein, Herr Spaenle! Der Freistaat muss seine soziale Verantwortung wahrnehmen: Schaffen sie genügend Wohnraum für diejenigen Studierenden, die nicht so viel Geld mitbringen, und ermöglichen sie den Studentenwerken, ihre Aufgaben wahrzunehmen! Dahin geht unser Änderungsantrag, ich bitte hier um Zustimmung.
Meine Damen und Herren,
von Beton alleine lebt die Wissenschaft nicht. Sie lebt auch und vor allem von den Menschen, die sie betreiben. Von den Menschen, die neue Erkenntnisse gewinne. Von den Menschen, die an unseren Hochschulen und Universitäten studieren, lehren und forschen. Seit 2008, ich habe es bereits gesagt, ist die Zahl der Studierenden in Bayern um mehr als 120.000 angestiegen. Im gleichen Zeitraum hat der Freistaat mit Hilfe des Bundes aber nur Mittel für 50.000 neue Studienplätze geschaffen.
Überfüllte Hörsäle, fehlende Seminarplätze und überarbeitete Angestellte sind die Folgen. Für den Zukunftsmotor Wissenschaft ist das eine gehörige Bremse. Diese fehlende Grundfinanzierung führt dazu, dass die Hochschulen die fehlenden staatlichen Gelder zunehmend durch Drittmittel ausgleichen müssen. Drittmittel einzuwerben ist an sich nichts schlechtes. Wo daraus aber Standardaufgaben finanziert werden müssen, wird es im wahrsten Sinne des Wortes prekär.
Die Folge: mehr als 70 Prozent des wissenschaftlichen Personals ist heute befristet beschäftigt. Diese prekären Beschäftigungsverhältnisse – oft steht die Verlängerung des Arbeitsvertrags jedes halbe Jahr auf der Kippe – ist nicht nur für die Beschäftigten selbst extrem belastend.
Und immer mehr Lehre an den Hochschulen wird durch schlecht vergütete Lehraufträge bestritten. An den Musikhochschulen ist die Situation besonders extrem: Mitunter die Hälfte des Lehrangebots wird von Lehrbeauftragten ohne feste Anstellung angeboten.
Bereits der letzten Legislatur gab es dazu hier im Landtag einen einstimmigen Beschluss, den Anteil der Lehrbeauftragten auf unter 25% zu senken, ich frage mich, was ist daraus geworden, was haben Sie seither getan?
Ohne attraktive Stellen gelingt es den Bayerischen Hochschulen und Universitäten immer schlechter, die Besten aus der Wissenschaftslandschaft zu uns zu holen oder hier zu halten. Darunter leidet nicht nur die akademische Lehre sondern auch der Forschungsoutput.
Die Situation der Privatdozenten, die unbezahlt lehren müssen, ist noch prekärer. Sie ist nicht nur ein Hemmnis für die wissenschaftliche Vielfalt, sondern auch eine Existenzbedrohung für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Unter Umständen ist sie sogar schlicht und ergreifend rechtswidrig: Ein Regensburger Privatdozent hat jetzt eine Klage vor dem Verfassungsgerichtshof angestrengt. Früher hieß unbezahlte Arbeit Sklaverei, heute nennt der Wissenschaftsjargon das „Titellehre“!
Seit 2008 sind die Studierendenzahlen um über 120.000 gestiegen. Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist keineswegs im gleichen Maß gestiegen. Die Zahl der verfügbaren Mittel pro Studierendem ist also real tatsächlich massiv gesunken. Das alles führt dazu, dass dringend notwendige Seminarplätze nicht garantiert werden können. Es führt dazu, dass Bücher in Bibliotheken vergriffen sind. Und es führt dazu, dass den Universitäten und Hochschulen nichts übrig bleibt, als ihr Lehrpersonal auszubeuten. Setzen wir dem ein Ende! Im Wissenschaftsetat liegen Haushaltsreste von über 100 Millionen Euro ungenutzt herum. Nutzen wir sie, um die Grundausstattung der Hochschulen zu verbessern.
Wir müssen die Grundfinanzierung der Hochschulen stärken, wenn wir Bayern zukunftsfähig machen wollen!
Meine Damen und Herren,
Nun komme ich dazu, wo wir weniger Beton brauchen in Bayern! Das heißt weniger Flächenversiegelung und mehr Grünflächen.
Das heißt auch weniger klimäschädliche sondern mehr umweltfreundliche Technologien. Wir müssen die Klimaüberhitzung beenden. Deswegen müssen wir unseren Beitrag dazu leisten, das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten.
Dazu brauchen wir mehr Forschung zu umweltfreundlichen Technologien. Bayern kann hier Vorreiter sein: Wir müssen Strategien für eine nachhaltige Entwicklung in Bayern erstellen. An vielen Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen tut sich da ganz viel. Ein neues Forschungszentrum soll diese Forschung koordinieren und unterstützen. Wissenschaft ist unser Zukunftsmotor: Nicht nur für das Wirtschaftswachstum. Wenn wir unseren Planeten retten wollen, dann ist es wichtig, dass wir neue, dass wir umweltfreundliche Technologien erforschen. Das kann uns nur gelingen, wenn wir hier Energien bündeln anstatt gegeneinander zu arbeiten. Deswegen braucht Bayern ein Forschungszentrum für Nachhaltigkeit und für die ökologische Transformation.
Und noch an einer anderen Stelle brauchen wir weniger Beton, nämlich bei einem sinnvollen Ausbau der bestehenden Hochschulstandorte statt immer neuer Ausgründungen wo gerade ein Landrat seine Beziehungen spielen lässt.
Dass Hochschulen ein Zukunftsmotor für ganze Regionen sein können, zeigen uns die HAWs, die ehemaligen Fachhochschulen. In den 70er-Jahren haben sie es erfolgreich geschafft, nicht nur das Bildungsniveau im ländlichen Raum anzuheben.
Sie haben gleichzeitig auch den Austausch zwischen staatlicher Forschung und der freien Wirtschaft beflügelt.
Und sie ermöglichen Menschen, die sonst keine Chance auf einen Hochschulabschluss gehabt hätten das Studium.
Überproportional viele HAW-Studierende sind die ersten in ihrer Familie, die ein Studium aufnehmen.
Sie haben also einen wichtigen Beitrag zur Chancengerechtigkeit geleistet. Meine Damen und Herren, die Geschichte der Fachhochschulen war und ist eine Erfolgsgeschichte.
Was wir jedoch heute erleben, ist Strukturpolitik nach dem Schrotflintenprinzip statt gezieltem Ausbau und Förderung der bestehenden Standorte.
Es werden immer mehr Mini-Hochschulstandorte auf der grünen Wiese gegründet, die von ihren Mutterhochschulen abgeschnitten sind. So kann kein wissenschaftlicher Austausch mehr stattfinden, hierunter leidet die Qualität. Eine wissenschaftsgeleitete Strukturpolitik kann nur mit Augenmaß passieren. Die Hochschulen dürfen nicht zersiedelt werden. Stattdessen müssen wir ihre Strahlkraft auch in die Fläche, in die ländlichen Räume hinein, erhöhen.
Das gelingt nur, wenn wir auch die Forschung an den Hochschulen für angewandte Wissenschaft endlich konsequent fördern. Die Hochschulen haben sich bereits erfolgreich auf diesen Weg gemacht, sie werben erfolgreich Drittmittel von regionalen Unternehmen ein, einzelne Hochschulen sind bereits jetzt sehr forschungsstark und bewerben sich erfolgreich auch um Forschungsmittel auf europäischer Ebene. Nur der Freistaat lässt die HAWS nach wie vor im Regen stehen, indem er ihnen keine staatlichen Forschungsgelder zuerkennt.
Deswegen wollen wir die Mittel für anwendungsbezogene Forschung, für den Technologietransfer, in den kommenden Jahren aufstocken. Nur können wir exzellente Forschung und Förderung für den ländlichen Raum in Einklang bringen.
Herr Minister Spaenle, sie haben bereits letztes Jahr gesagt, sie wollten das Jahr zum Jahr der HAWs machen. In dem vorliegenden Staatshaushalt sieht man davon nichts! Wir wollen die Hochschulen und ihren Austausch mit den Regionen stärken. Deswegen wollen wir die Mittel für anwendungsbezogene Forschung ausbauen!
Meine Damen und Herren,
Sanierungsstau beheben, allen Studierwilligen ein Studium ermöglichen, die Hochschulen endlich ausfinanzieren und den Austausch der Hochschulen in den ländlichen Raum hinein stärken. So sieht für uns Grüne eine zukunftsfähige Wissenschaftspolitik aus. Im vorliegenden Haushaltsentwurf der Staatsregierung kann man davon recht wenig erkennen. Ich bitte Sie also: Stimmen Sie unseren Änderungsanträgen zu. Sorgen Sie dafür, dass Bayern zukunftsfähig bleibt!