4. Ordentliche Landesmigrationskonferenz von ver.di

GRUßWORT

Am 10. September 2022 haben sich die in ver.di Bayern organisierten Migrant*innen zur Konferenz im Nürnberger Gewerkschaftshaus getroffen. Eines der Anliegen der Konferenz war die Stärkung der Repräsentanz von Migrant*innen innerhalb der Gesellschaft und innerhalb der Gewerkschaft. Verena Osgyan freute sich, als Vertreterin der Grünen Landtagsfraktion mit einem Grußwort dazu beitragen zu können.

Hier Verenas Rede im Volltext:

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebe Freundinnen und Freunde,

Sehr geehrte Frau Dagmar König (Bundesvorstand von ver.di),

Sehr geehrte Frau Linda Schneider (Stv. Landesbezirksleiterin ver.di Bayern),

Liebe Charlotte Johnson,

Zunächst möchte ich mich ganz herzlich für die Einladung bedanken, und die Gelegenheit, im Namen der Grünen Landtagsfraktion ein Grußwort zu sprechen. Als langjähriges ver.di Mitglied ist mir das gleich in mehrerlei Hinsicht ein ganz besonders Anliegen, und ich freue mich, dass Sie hier in meiner Heimatstadt Nürnberg mit der 4. Ver.di Landesmigrationkonferenz die Themen Rechte von Migrant*innen und Arbeitnehmer*innen so kraftvoll auf die politische Agenda setzen.

Wir leben gerade in einer Zeit multipler Krisen, aber gerade deshalb kommt es darauf an den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken anstatt zu spalten, und die Bedürfnisse und Lebensrealitäten der ganzen Bevölkerung in den Blick zu nehmen, und nicht nur bestimmter Teile. Und wenn wir uns die gesellschaftliche Realitäten ansehen, sind wir bereits seit langem viel bunter und diverser aufgestellt, als es sich eine CSU-Staatsregierung in Bayern eingestehen will. Hier in Nürnberg hat zum Beispiel knapp die Hälfte unserer Nürnberger Stadtbevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Und bei den Kinder und Jugendlichen, bilden junge Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mit 65% sogar die Mehrheit. Als Nürnbergerin liebe ich die Vielfalt und Weltoffenheit dieser Stadt, die wir Nürnberg, unabhängig von politischen, religiösen oder kulturellen Unterschieden leben. Unsere Stadtgesellschaft ist nicht trotz der großen Vielfalt stark, sondern gerade deswegen, aufgrund von Gemeinschaftsgeist, Erfindungsreichtum und guter Nachbarschaft.

Aber wir dürfen auch nicht die Augen davor verschließen, dass es für die Bildungschancen von jungem Menschen auch heute noch einen enormen Unterschied macht, ob sie in Schweinau oder Erlenstegen auf die Welt kommen, aus welcher Sprache ihr Nachname stammt, oder welchen Pass sie besitzen.

Damit Menschen in ihrer ganzen Vielfalt gleichberechtigt miteinander Leben können, braucht es passende rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen, und an diesen müssen wir gerade in Bayern noch ganz besonders arbeiten.

Dass es Lohnunterschiede von 13% zu Lasten von Menschen mit einem Migrationshintergrund gibt und dieser Unterschied sich in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt hat, während im selben Zeitraum es kein Qualifikationsgefälle mehr gibt, ist wissenschaftlich erwiesen und kann nicht abgesprochen werden. Das hier vor allem Frauen im besonderen Maße Lohndiskriminierung ausgesetzt sind, wissen wir auch. Ebenso ist es fakt, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Namen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche weniger Chancen haben erfolgreich zu sein.

Gleichzeitig zeigen Studien zum Racial Profiling bei der Polizei, dass Menschen aufgrund ihres Aussehens viel häufiger von der Polizei kontrolliert werden.

Wir haben hier in Bayern beispielsweise immer noch kein Antidiskriminierungsgesetz, obwohl dies per EU-Richtlinie eigentlich verpflichtend vorgeschrieben. Als Grüne Fraktion im Landtag haben wir, federführend meine Kollegin Gülseren Demirel, der CSU sogar die Arbeit abgenommen und das Gesetz ausformuliert und als Gesetzentwurf zur Abstimmung gebracht – der leider von den Regierungsfraktionen ersatzlos abgelehnt wurde. Wenn man aber mit der Einstellung „Diskriminierung und Rassismus sind per Grundgesetz verboten, also gibt es den nicht“ herangeht, kann das natürlich nichts werden.

Zum Glück sind nicht alle Menschen CSU-Politiker*innen. Zum Glück, haben wir eine aktive, lebendige und vor allem vielfältige Zivilgesellschaft in Nürnberg und vielen anderen Städten Bayerns. Hier macht sich die Rolle der Gewerkschaften sehr bemerkbar. Und ich bin froh, dass man sich hier beim DGB, bei Ver.di, bei der IG-Metall, bei den Gewerkschaften allgemein sich der Lebensrealitäten bewusst ist und nicht die Augen vor den gesellschaftlichen Herausforderungen verschließt, sondern nach links und rechts sieht und erkennt, dass man gemeinsam arbeitet, für bessere Löhne und Rahmenbedingungen sich einsetzt und um Arbeitsplätze kämpft, aber auch anerkennt, dass Ungleichbehandlung und Diskriminierung viele Formen annimmt und sich multipliziert.

Wir müssen uns aber auch der Frage annehmen, wie wir mit Migration in Zeichen des zunehmenden Arbeitskräfte- und Fachkräftemangels insgesamt umgehen. Arbeitgeberverbände wie der vbw und Wirtschaftsexpert*innen aller Couleur sehen zur aktuell den Bedarf an einer jährlichen Zuwanderung von 400.000 Menschen, da Deutschland die Arbeitskräfte ausgehen. Mehr Migration nach Deutschland ist überlebenswichtig für unsere Wirtschaft, und ich freue mich, dass wir hier in Berlin von Seiten der Ampelkoalition mit Eckpunkten für eine erleichterte Einwanderung von Fachkräften, dem neuen Chancenaufenthaltsgesetz und einer erleichterten Einbürgerung bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden für Menschen, die hier leben und arbeiten möchten oder teils schon sehr lange hier ansässig sind. Bei allem Beifall von Seiten der Wirtschaft müssen wir aber aufpassen, das all diese Menschen hier auch gute und würdige Arbeitsbedingungen vorfinden. Und hier brauchen wir den Druck und die Unterstützung der Gewerkschaften, um das zu garantieren, denn Arbeitgeber und Union sind da wenig hilfreich, im Gegenteil.

Die Anhebung des Mindestlohns war ein Erfolg, aber dafür versuchen sie nun an anderer Stelle an der Aushöhlung von Arbeitnehmer*innenrechten. Der Vorschlag von Bayerns CSU-Arbeitsministerin Ulrike Scharf, die tägliche Arbeitszeit auf 12 Stunden auszuweiten, ist natürlich völliger Quatsch und fernab jeder Realität. Das Gute ist: Er hat auch keine Aussicht auf Mehrheiten, aber es zeigt wie wichtig es ist hier gemeinsam gegenzulesen damit solch neoliberaler Unsinn nicht irgendwann doch einreißt.

Ich kann nur immer wieder betonen: wir haben mit der Regierungsbeteiligung in Berlin gerade ein Fenster, welches wir nutzen sollten und wollen, um ernsthafte, nachhaltige und vor allem Menschen in das Zentrum stellende Politik zu machen.

Ich denke man darf voller Recht behaupten, dass das Chancenaufenthaltsgesetz ein Paradigmenwechsel darstellt, um die jahrelange Unsicherheit vieler, vieler Menschen zu beenden, die sich längst integriert haben, arbeiten können und wollen. Aus meiner Sicht gebietet es allein schon ein Mindeststandards an Menschlichkeit, Migrantinnen und Migranten nicht mehr in einer Dauerduldungsschleife über teilweise Jahrzehnte hinweg zu belassen und ihnen stattdessen eine Möglichkeit zu geben, in Deutschland ihr aufgebautes Leben in Frieden und ohne tägliche Sorge der Abschiebung zu leben, und ihnen eine dauerhafte Bleibe- und Arbeitsperspektive zu geben. Ich glaube wir alle kennen die wiederkehrenden Fälle von Menschen, die plötzlich trotz festen Jobs und intakten Umfelds von der Abschiebung bedroht waren, und denen wir in letzter Minute mittels Petitionen und Härtefallkommissionen zu helfen versucht haben, und ich hoffe, dass diese unwürdigen Umstände nun endlich ein Ende haben.

Und ich hoffe auch, das mit der erleichterten Einbürgerung nun vieles vieles einfacher wird, auch wenn auch hier die Union alles versucht, um den Lauf der Zeit aufzuhalten. In einer globalisierten Welt Menschen zu verwehren eine doppelte Staatsbürgerschaft zu haben zeugt, liebe Freundinnen und Freunde, von einem völligen Verhaftetseins in anderen Jahrhunderten. Wenn Bayerns Innenminister Herrmann ein „Bekenntnis zu Deutschland“ fordert und den deutschen Pass als „Höhepunkt des Integrationsprozesses“ sieht, meint er nicht, dass Menschen in Deutschland in Frieden ihrem eigenen Leben nachgehen, wie alle anderen auch. Er meint, dass es in Ordnung ist, alle drei Monate die Duldung zu verlängern, von Deutschtest zu Deutschtest zu rennen und bestehen zu müssen, Steuern zu zahlen, nicht mal über Rot die Ampel überquert zu haben und jedes Mal wenn die Ausländerbehörde nachfragen stellt, sich zur Deutschen Verfassung zu bekennen. Diesen Anforderungen zu Folge würden Neo-Nazis, AfDler, ja sogar einige CSUler keinen Deutschen Pass bekommen um ehrlich zu sein. Zum Glück haben wir in Ferda Atamann eine starke Frau aus Nürnberg als Antidiskriminierungsbeauftragte, die es auf den Punkt bringt: „Staatsbürgerschaft ist weder eine Ramsch- noch eine Luxusware, sie ist ein Bürgerrecht.“

Es ist wichtig, dass wir nun zu einer Politik kommen die die von Lebensrealitäten unserer Gesellschaft anerkennt und positiv würdigt und keinen rassistischen Populismus im Deckmantel des sogenannten besorgten Bürgertums verkauft. Und auch wenn Sie und Ihr als Gewerkschafter*innen natürlich nicht mit allem einverstanden seid, was hier derzeit entwickelt wird, und uns weiterhin fordern sollt, ich bin sehr froh dass ver.di und der DGB hier immer eine klare Haltung zeigt.

Hier verschließt man nicht die Augen, sondern sieht nach links und rechts und erkennt, dass man gemeinsam arbeitet, für bessere Löhne und Rahmenbedingungen sich einsetzt, streikt und um Arbeitsplätze kämpft. Das ist es dann egal, ob jemand vom Krieg geflüchtet ist, in der 3. Generation von sogenannten „Gastarbeitern“ stammt, von einer im 19. Jahrhundert aus Polen migrierten Familie stammt, Spätaussiedler ist, die Familie schon immer in Nürnberg gelebt hat oder aus der ehemaligen DDR ist: Gewerkschaften setzen sich für ALLE Arbeitenden ein! Und in Zeiten zunehmender antidemokratischer Tendenzen weltweit sollte man sich jeden Tag aufs neue bewusst machen, welche urdemokratische Aufgabe Gewerkschaften tagtäglich erfüllen.

Wir brauchen die lauten Stimmen, die klare Haltung, die Forderung von demokratischen Grundrechten inmitten unseres gesellschaftlichen Lebens, bei Demonstrationen, Streiks, Kundgebungen, und auch hier kann ich aus meiner Perspektive sagen dass die Migrant*innen bei ver.di hier immer an vorderster Stelle vertreten waren.

Und wir brauchen Veranstaltungen wie diesen, und auch die begleitenden Medienarbeit, damit nicht vergessen wird, was eigentlich nicht vergessen werden darf: Arbeitnehmer*innenrechte und Menschenrechte gehen Hand in Hand und sind Mindeststandards auf die wir uns als Gesellschaft geeinigt haben.

Und ich kann nur sagen, dass wir als kommunale, Landes- und Bundesgrüne sehr dankbar sind, Gewerkschaften als Partner, Mahner, Kritiker und als Freunde im Kampf für mehr Gerechtigkeit und Zusammenhalt zu haben. Denn wie bei dieser Konferenz, der der Dialog und die Arbeit am gemeinsamen Ziel für mehr Gerechtigkeit eintreten zu wollen, nicht hoch genug zu schätzen.

In diesem Sinne wünsche ich allen Beteiligten noch eine informative und ergebnisreiche Konferenz.

Vielen Dank!