PLENARREDE
Die Staatsregierung lässt von Gewalt betroffene Frauen im Regen stehen! Am 2. Dezember 2014 wurden im Landtag die Änderungsanträge der Grünen Fraktion zur Erhöhung der Mittel für Frauenhäuser und –notrufe besprochen. Seit 2009 wurden die Sätze nicht mehr angepasst und das obwohl die Fälle häuslicher Gewalt um 50% gestiegen sind. Verena Osgyan forderte deshalb in Ihrem Redebeitrag die Staatsregierung auf, statt warmer Worte endlich Taten folgen zu lassen.
Hier Verenas Redebeitrag im Volltext:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen.
Am 26. November wurde der kongolesische Gynäkologe Denis Mukwege für sein besonderes Engagement mit dem Sacharow-Preis geehrt. Er kämpft dafür, dass Vergewaltigung als Kriegswaffe international geächtet wird und kümmert sich um die Opfer der Übergriffe.
Mukwege rief die Vereinten Nationen auf, sexualisierte Gewalt einhellig zu verurteilen und die Vergewaltiger wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht zu stellen. „Wir brauchen nicht noch mehr Beweise, wir brauchen Taten“.
Jetzt sagen Sie vielleicht, ja Afrika, das ist ja weit weg.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen: Auch in Europa steht es schlecht um den Schutz: Die weltweit größte Erhebung zur Gewalt gegen Frauen hat erschütternde Zahlen für die Europäische Union zutage gefördert: Ein Drittel der Frauen zwischen 15 und 74 Jahren hat „körperliche und/oder sexuelle Gewalt“ erfahren. Das sind sage und schreibe 62 Millionen Frauen.
Jetzt sagen Sie vielleicht, Europa ist groß.
In der vergangenen Woche wurde wie jedes Jahr der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen begangen. Offenbar ist dies ein Thema, dass sich für die Berichterstattung und für Preisverleihungen gut eignet. Doch was passiert nach den Preisverleihungen und den Sonntagsreden, frage ich Sie?!
Viel zu wenig – auch in Bayern!
Denn das Problem existiert auch bei uns und verschwindet nicht. Ein paar Zahlen:
Die Fälle häuslicher Gewalt in Bayern belaufen sich auf 20.000 im Jahr. Sie sind seit 2001 um über 50% angestiegen. Und das sind nur die angezeigten Fälle. Jede Frau überlegt es sich doch fünfmal, ob sie ihren gewalttätigen Mann anzeigt, und so die Familie aufs Spiel setzt. Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, doch die CSU hat sich nicht durchringen können, diese Dunkelziffer zu erhellen. Unser Antrag dazu wurde leider abgelehnt.
In mehr als 30% aller Fälle häuslicher Gewalt schauen Kinder zu. Stellen Sie sich das bitte mal vor. Kinder schauen zu, wie die Mutter verprügelt wird.
1100 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung werden im Jahr verurteilt. Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigungen liegt in Bayern bei schwachen 20%.
2000 Fälle von Stalking werden jährlich in Bayern bearbeitet. Die Stalking-Opferstelle musste aufgeben, weil sie keine finanzielle Unterstützung vom Freistaat bekommt.
Jährlich werden mehr als 1600 Fälle von sexuellem Missbrauch an Kindern in Bayern registriert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
allein die Frauennotrufe, das ist die ambulante Hilfe für Frauen in Not, haben in Bayern rund 16.000 Beratungskontakte im Jahr.
Für die Unterbringung von Frauen und Kindern in Not gibt es lediglich 38 staatlich geförderte Frauenhäuser mit insgesamt 340 Plätzen – das entspricht gerade mal einem Platz pro 10.000 erwachsenen Einwohnerinnen. Wir liegen mit dieser Quote deutschlandweit auf dem vorletzten Platz. Und es sind viel zu wenig Plätze für den tatsächlichen Bedarf! Wir wissen, dass 2013 allein in Unterfranken 310 Frauen abgewiesen werden mussten.
Diese Plätze sind zudem unterfinanziert und damit nicht genug: die Mittel sind noch nicht einmal dauerhaft planbar.
Deshalb müssen wir immer wieder dieses Antragspaket schnüren, weil es die Bayerische Staatsregierung nicht schafft, den Frauenhäusern und Frauennotrufen endlich mal ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen.
Ein Beispiel:
Die Polizei wird gerufen weil Frau Schmitt. von ihrem Ehemann misshandelt wird. Die Polizei erteilt als Sofortmaßnahme dem Täter einen Platzverweis.
Im zweiten Schritt sendet die Polizei ein Protokoll an die Beratungsstelle. Diese geht dann auf Frau Schmitt zu, indem sie ihr erst einmal Informationsmaterial schickt und sie anruft, um konkret zu helfen. Frau Schmitt wird über ihre rechtlichen Möglichkeiten beraten, oder auch über das was sie tun kann, um keine weitere Gewalt zu erfahren.
Grob gesagt versteht man das unter dem proaktiven Ansatz.
Fest im Haushalt stehen erstmalig 250 Tausend Euro für die proaktive Beratung. Dieser Betrag ist für die kommenden beiden Jahre gesichert! Er wurde jetzt endlich um 300 Tausend Euro aufgestockt. Allerdings nur für das Jahr 2015. Dieser Aufstockungsbetrag müsste dann also für 2016 erneut über den Nachtragshaushalt eingestellt werden. Da wäre ich sehr unsicher, ob das auch tatsächlich passiert!
Kommen wir zurück zu Frau Schmitt. Die ist beraten worden, lebt weiter zu Hause mit ihrem gewaltbereiten Ehemann und ihren beiden Kindern, und hofft, dass alles gut wird.
Wird es nicht, der Mann wird wieder gewalttätig. Die Frau hat Angst um ihre Gesundheit und die ihrer Kinder. Sie flüchtet.
Im allerbesten Fall hat sie eine Familie, die sie auffängt. Im anderen Fall muss sie sich einen Platz in einem Frauenhaus suchen. Und hier setzt sich der Leidensweg fort.
Wir haben in Bayern 317 Städte. Wir haben in Bayern aber nur 38 Frauenhäuser. Da gibt es gerade mal in jeder 10. Stadt ein Frauenhaus…..
Frau Schmitt sucht also mit ihren Kindern Zuflucht in einem Frauenhaus in der Nähe. Gut, dass sie in einer größeren Stadt wohnt, weil es da wenigstens eins gibt.
Gut auch, dass sie nicht behindert ist, weil die Frauenhäuser nicht barrierefrei ausgestattet sind und keine spezialisierten Beratungsangebote leisten
können. Weil es auch dafür an Mitteln fehlt.
Das ist umso bedauerlicher da erwiesen ist, dass Frauen mit Behinderung ein doppelt so hohes Gewaltrisiko haben wie Nichtbehinderte.
Und schlussendlich hat sie Glück, wenn sie nicht noch psychisch krank ist, weil auch hier die Frauenhäuser keine adäquate Hilfe bieten können.
Unsere Beispielfrau kommt unter, und dann?
Nach ein paar Wochen muss Frau Schmitt wieder raus, das Frauenhaus ist ja nur eine Notunterkunft. Jetzt lassen Sie diese Frau mal auf dem freien Wohnungsmarkt schnell eine Wohnung finden…. Genau: Das funktioniert nicht!
Diese Frau, wie viele andere Frauen auch, geht also zurück zu ihrem gewalttätigen Ehemann.
Und nun muss ich Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen die Frage stellen, sind Ihnen diese Frauen wirklich gleichgültig? Das kann ich nicht glauben!
Was wir hier von der Bayerischen Staatsregierung fordern, sind doch keine Luxuswohnungen für gewaltbetroffene Frauen.
Was wir brauchen, ist eine Verstetigung der Mittel. So können die Beratungsstellen planen und sich um Frauen kümmern, die vielleicht auch psychisch krank, suchtabhängig oder behindert sind.
Wie läuft das bisher?
Die Frauenhäuser und Frauennotrufe bekommen Zuschüsse für Personal oder für Sachkosten.
Dabei wird folgendes vorausgesetzt
- Erreichbarkeit und zwar rund um die Uhr;
- Eine bestimmte Qualifikation und Anzahl des Fachpersonals;
- Eine Mindestplatzzahl für Frauen und Kinder und
dass die Frauen nachgehend weiter betreut werden.
- Außerdem sollen die Stellen Öffentlichkeits- und Präventionsarbeit leisten.
Diese staatliche Förderung ist außerdem an eine kommunale Ko-Finanzierung gebunden.
Während aber die Fälle häuslicher Gewalt um 50% gestiegen sind, wurden die Fördersätze des Freistaats seit 2009 nicht mehr erhöht. Tatsächlich wenden die Kommunen mittlerweile den Großteil der Mittel auf und bleiben auf den Kosten sitzen.
Der kommunale Anteil lag 2012 bei ca. 7,7 Mio. Euro und im Jahr 2013 bereits bei ca. 7,9 Mio. Euro. Die Notrufe sind inzwischen noch stärker von den kommunalen Zuschüssen abhängig.
Was wir brauchen ist eine Anpassung an die Preis- und Gehaltsentwicklung der letzten fünf Jahre. Dies macht eine Erhöhung um mindestens 15 Prozent erforderlich. In den Richtlinien muss eine automatische Dynamisierung der Förderung aufgenommen werden.
Das waren jetzt viele Zahlen und Fakten, aber die können Sie ja alle in unseren Anträgen nochmal nachlesen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich hatte in den vergangen Monaten viele Gespräche mit Beratungsstellen. Meine Frau Schmitt ist ja ein vergleichsweise „leichter“ Fall. Es gibt aber immer mehr Frauen mit Behinderung, mit Migrationshintergrund psychisch kranke und auch suchtkranke Frauen, die von Gewalt betroffen sind, Hilfe suchen und diese nicht bekommen.
Deshalb komme ich zum Ende noch einmal auf Dr. Denis Mukwege zurück, Sie erinnern sich, der, der den Sacharow-Preis bekommen hat, zurück.
Er sagte: „Wo sind die Männer in dieser Frage? Wir können dieses Problem nicht lösen, solange Männer nicht dagegen aufstehen.“
Also! Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Gewalt geht uns alle an, deshalb appelliere ich an Sie, diese Mittel für die Betroffenen endlich dauerhaft zu erhöhen und unseren Grünen Anträgen und den Anträgen der SPD zuzustimmen.
Danke.