Grüne Wege: Zum Wohl! Wie arbeiten gemeinwohlzertifizierte Unternehmen?

Ortstermin im Nürnberger Spielzeugmuseum und beim Theater Salz & Pfeffer

Was genau ist eigentlich eine Gemeinwohlzertifizierung? Welche Voraussetzungen müssen für eine solche Zertifizierung erfüllt sein? Und wie kamen eigentlich zwei sehr unterschiedlichen Nürnberger Kultureinrichtungen dazu, sich hierfür auf den Weg zu machen? Mit diesen interessanten Fragen beschäftigte sich die Landtagsabgeordnete Verena Osgyan zusammen mit Stadtrat Kai Küffner, selbst Inhaber eines gemeinwohlzertifizierten Unternehmens, am 12. Juni 2022 im Rahmen der diesjährigen Veranstaltungsreihe „Grüne Wege zur Grüner Wirtschaft“.

Die Veranstaltungsreihe „Grüne Wege zu…“ wird nun schon seit 2007 mit verschiedenen Aktionen über die Sommermonate von den Grünen Kreisverbänden im Bezirk Mittelfranken angeboten. Das Schwerpunktthema ist jedes Jahr ein anderes – vom nachhaltigen Wirtschaften und Ökologie über Landwirtschaft und Klima bis zu Kunst und Kultur, um nur einige Beispiele zu nennen. Dabei geht es darum, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und zu zeigen, was die unmittelbare Nachbarschaft alles an spannenden Initiativen und Projekten zu bieten hat. 

2021 lag der Schwerpunkt auf den Themen Kunst, Kultur und Kneipen. Diese Branchen mussten während Corona ihre Pforten zuerst schließen und durften sie zuletzt wieder öffnen – wobei auch die Nachtkultur nur eingeschränkt wieder durchstarten durfte. In diesem Jahr geht es um Grüne Wirtschaft. Dabei sind natürlich die Themen Gemeinwohl und Nachhaltigkeit immer von zentraler Bedeutung.

Als Verena Osgyan vor einiger Zeit die Verleihung der Gemeinwohl-Siegel an insgesamt zehn Unternehmen an der TH Nürnberg miterlebt habe, kam sie auf die Idee, diese in Deutschland noch relativ neue aber sehr wichtige Idee in diesem Jahr zu ihrem Thema der Grünen Wege zu machen. Denn das ganze Thema ist nicht nur spannend, sondern auch wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick den Anschein hat.

Bei dem Begriff „Gemeinwohl“ denkt man vielleicht zuerst an das Fair-Trade-Siegel für Kaffee und Schokolade oder auch an die Siegel von Bioland, Demeter oder Naturland. Dabei handelt es sich jedoch um Siegel für eine bestimmte Qualität von Lebensmitteln und Alltagsprodukten, die garantieren sollen, dass diese Produkte bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So erfährt man zum Beispiel, ob Klopapier aus recycelten Papier hergestellt wurde.

Aber kann man feststellen, wie nachhaltig und sozial ein Unternehmen ist? Diese Frage wäre nicht nur für Kundinnen und Kunden wichtig, sondern auch für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die wissen möchten, welchen Grundsätzen ein Unternehmen folgt. Doch zuerst muss festgelegt werden, was eigentlich wichtig ist. Schnell ist klar: Erfolg muss ganz anders definiert werden und neue Maßstäbe sind nötig.

Das ist die Idee hinter den Gütesiegeln vom TÜV Rheinland, BCorp und der Gemeinwohlökonomie (GWÖ). Es geht nicht darum, den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens zu bewerten, sondern den sozialen und gesellschaftlichen Mehrwert, den ein Unternehmen schafft. Ziel ist es, transparent zu machen, wie nachhaltig sich eine Firma tatsächlich verhält. Und dazu zählt zum Beispiel auch, welche Managementkultur die Führungsetage verfolgt, wie das Verhältnis zu den Mitarbeitenden ist und wie viel für die Unternehmenskultur investiert wird.

Bei welchem Anbieter man sich einem solchen Blick in den Wertespiegel stellen möchte, ist jedem Unternehmen selbst überlassen. Der TÜV, BCorp und die GWÖ setzen bei ihren Bewertungskriterien jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Eines haben sie aber gemeinsam: Die Anforderungen sind hoch und um diese zu erfüllen, müssen Unternehmen viel Eigeninitiative und Engagement mitbringen.

Aber funktioniert das auch bei Kultureinrichtungen? In Nürnberg haben sich zwei sehr unterschiedliche Einrichtungen hier auf den Weg gemacht und leisteten dabei echte Pionierarbeit. Der erste Teil des Programms führte Verena Osgyan und ihre Gruppe daher ins Nürnberger Spielzeugmuseum, das weltweit erste gemeinwohlzertifizierten Museum.

Station 1: Besuch im Spielzeugmuseum

Wie es dazu kam, dass das Museum die Nachhaltigkeit für sich entdeckt hat und wie diese Strategie entwickelt wurde, erklärte dabei Leiterin des Museums, Prof. Dr. Karin Falkenberg, zusammen mit Jens Junge, Vorsitzender des Förderkreises, im Rahmen einer Führung durch ihr Haus.

Laut Frau Falkenberg war ein Grund für die Zertifizierung die Neuausrichtung des Museums als Vermittlungsinstanz für Nachhaltigkeit, Anti-Rassismus, Inklusion und Partizipation bei den Museen der Stadt Nürnberg sowie ihr Interesse an fairen, transparenten und stabilen Entscheidungswegen. Ein weiterer Impuls war ein Film über drei Gemeinden in Norddeutschland, die vom steigenden Meeresspiegel betroffen waren und selbst sofort umsetzbare Nachhaltigkeitskriterien auf der Basis der Gemeinwohlökonomie erarbeitet haben. Nachdem sie diesen Film gesehen hatte, war ihre Entscheidung gefallen, die Matrix der Gemeinwohl-Bilanz – Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Ökologie, Transparenz und Mitentscheidung – zum neuen Leitbild des Museums zu machen.

Das Spielzeugmuseum hat eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie und hat sich zum Ziel gesetzt, das „Spielzeugmuseum als Emotionales Weltmuseum“ neu zu erfinden. Das Motto dabei ist „Kein Gewinnstreben darf dazu führen, dass es die Schwächsten oder die Allgemeinheit schädigt.“ Dieser Satz von Thomas von Aquin (1225-1274) ist heute aktueller denn je.

Das neue Leitbild des Spielzeugmuseums stellt deshalb gesellschaftlich relevante Themen ins Zentrum, die die Vereinten Nationen unter dem Begriff „Sustainability“ zusammenfassen. Basis für die Erarbeitung des Nachhaltigkeitskonzepts ist die einstimmige Verabschiedung der Agenda 2030 mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (SDGs) durch alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. 

Dieses Verständnis von Nachhaltigkeit basiert auf drei Säulen:

  • Der Ökonomie: Wirtschaftliches Handeln im Sinn von Thomas von Acquin, 
  • Ökologie: Umwelt- und Klimaschutz und 
  • Soziales: Achtung der Menschenwürde, Wahrung der Menschenrechte und Auflösung von Exklusion.

Die Ziele der Nachhaltigkeitsstrategie lassen sich in die folgenden Schwerpunkte unterteilen:

1. Anti-Rassismus und Sensibilität für Diversität

2. Umwelt- und Klimaschutz

3. Barrierefreiheit und Inklusion

4. Partizipation und Kooperation

5. Transparenz und Demokratie

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass die Gemeinwohlzertifizierung zunächst einmal bedeutet, dass ein Unternehmen – oder ein Museum – sein komplettes Handeln auf das Erreichen dieser Nachhaltigkeitsziele abklopft, den Status Quo systematisch erfasst und Handlungsmöglichkeiten erarbeitet. Es ist der Beginn eines Weges, nicht der Endpunkt.

Klar wurde im Rahmen des Termins auch, dass für die Umsetzung der Erkenntnisse aus der Gemeinwohlzertifizierung im Spielzeugmuseum zunächst einmal Geld investiert werden muss, das aber nicht nur im Sinne der Nachhaltigkeit an sich, sondern im Sinne eines modernen, gesamtheitlichen museumspädagogischen Konzepts.

Dr. Karin Falkenberg, beeindruckte ihre Besuchenden dabei mit ihrer stringenten Strategie, im Spielzeugmuseum das Prinzip Spiel anhand anthropologischer Konstanten darzustellen, und so weg vom klassischen Vitrinenmuseum hin zu einer modernen, diversen Erlebniswelt zu kommen. 

Die anwesenden Grünen Politiker*innen versprachen, sich für die dafür notwendigen Mittel stark zu machen. 

Nach der Führung von Frau Falkenberg durch das Museum machten sich alle Teilnehmenden zusammen mit Verena Osgyan durch die Altstadt auf den Weg zum Theater Salz & Pfeffer, wo bereits Grünen-Stadtrat Kai Küffner mit Nussecken aus seiner gemeinwohlzertifizierten Nussecken-Bäckerei wartete. Auch er beschrieb seine Motive und die Bedeutung der Zertifizierung für seiner Manufaktur.

Station 2: Besuch im Theater Salz und Pfeffer

In ihrer zweiten Station bekam die Gruppe eine Führung durch das durch das Figurentheater Salz & Pfeffer. Mitarbeiterin Rebecca Gonter erläuterte die Entwicklung und Hintergründe für die Zertifizierung und was es bedeutet, ein kleine freie Einrichtung mit Bordmitteln von Grund auf nachhaltig aufzustellen. Das „Salz + Pfeffer“ ist das weltweit erste Theaterhaus mit einem Zertifikat für Gemeinwohlökonomie. 

Es arbeitet schon seit vielen Jahren daran, sich ökologisch und sozial kontinuierlich zu verbessern. Die tragenden Pfeiler bei dieser Arbeit sind Menschenwürde, Demokratie, friedliches Zusammenleben und Achtung vor Natur und Umwelt.

Da die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) große Übereinstimmung mit der Philosophie des Theaters aufwies, begab sich das Theater 2019/2020 auf eine Reise, die mit der Zertifizierung 2021 noch lange nicht endete. Der über 40-seitige Gemeinwohlbericht, den es am Ende des Zertifizierungsprozesses veröffentlichte, stellt dabei erst den Anfang dar für ihr großes Ziel, mit Schwung und Visionen nicht nur das eigene Theater von Grund auf nachhaltig aufzustellen, sondern bis 2035 das ganze Viertel zur Grünen Meile umzugestalten.

Alle Teilnehmenden freuten sich schon darauf, das Theater Salz und Pfeffer dabei als Zuschauenden ihrer Vorstellungen zu begleiten.