Zur Plenarsitzung des Landtags am 10. Oktober 2019 kündigte Ministerpräsident Söder eine Regierungserklärung zu Forschung und Innovation in Bayern an. „Ankündigung“ ist ein wichtiges Stichwort in dem Zusammenhang: denn viel mehr kam in dem Bereich bisher nichts von der Staatsregierung. Währenddessen sind Hochschulgebäude weiter marode und den Hochschulen fehlt eine solide Grundfinanzierung. Als wissenschafts- und hochschulpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion durfte Verena Osgyan auf die Regierungserklärung erwidern.
Rede von Verena Osgyan, MdL
zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Markus Söder
im Landtagsplenum am 10. Oktober 2019
Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
Uns müssen sie nicht erklären dass es wichtig ist in Wissenschaft und Innovation zu investieren. Das haben wir Grüne in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich gemacht. Leider hat die CSU in der Vergangenheit alle unsere Haushaltsanträge abgelehnt.
Und Sie von den Freien Wählern? Fanden unsere Initiativen gut solange sie Opposition waren, jetzt ducken sie sich weg und sind im Bereich Wissenschaft politisch kaum mehr wahrnehmbar.
Bayern hat im Bereich Forschung wirklich Nachholbedarf. Mein Kollege Ludwig Hartmann hat bereits dargelegt, dass der Freistaat bei den staatlichen Forschungsausgaben bisher keineswegs spitze war, sondern im Ländervergleich ganz hinten. Das besagt die letzte Aufstellung der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz.[1]
Allein: Bisher besteht die versprochene Forschungsinitiative erneut hauptsächlich aus Ankündigungen – und das obwohl die Ankündigungen der Vergangenheit bis heute noch nicht umgesetzt sind.
Kein Wunder, dass die Wissenschaftsverbände nur zögerlich Applaus geben und die Hochschulen ebenfalls sehr verhalten reagieren.
Nehmen wir das Artenschutzzentrum Bayern als Beispiel.
Vergangenen Sommer wurde es für Augsburg angekündigt. Viel wissenschaftliche Stellen waren geplant, Außenstellen in Laufen und Veitshöchheim.
Seitdem ein erstes „Aufbauteam“ eingestellt wurde hat man wenig von diesem Projekt gehört bis im Frühjahr die Schlagzeilen aufploppten: „Artenschutzzentrum für Augsburg steht auf der Kippe“ und eine Woche später „Artenschutzzentrum wird kleiner“.
Wenn Sie sich ehrlich machen würden, müssten sie zugeben: Die versprochenen 2 Milliarden sind eigentlich schon zigfach verplant. Eine Menge Großprojekte schweben immer noch im Orbit. Und da rede ich noch nicht einmal vom Raumfahrtprogramm „Bavaria One“.
Die 1,5 Milliarden Euro, die Ministerpräsident Söder der FAU Erlangen-Nürnberg auf dem vorletzten Schlossgartenfest zur Sanierung versprochen hat, scheinen auch noch immer in einer Erdumlaufbahn zu hängen – bis in den Staatshaushalt haben sie es bislang jedenfalls noch nicht geschafft.
Bevor jetzt wieder von neuen Initiativen geschwärmt wird, sollten erst einmal die bestehenden Löcher an unseren Hochschulen gestopft werden.
Letzteres ist leider nur zu wörtlich zu verstehen. Es hat etwas von einem Treppenwitz, wenn die Archäologen an der Friedrich-Alexander Uni 2013 ihre eigenen Arbeitsplätze ausgraben mussten, weil ihnen buchstäblich die Decke auf den Kopf fiel.
Die Lage ist dort mittlerweile äußerst prekär. Schwangere Mitarbeiterinnen können manche Gebäude wegen PCB-Belastungen nicht mehr betreten.
Auch andere Universitäten klagen darüber, dass internationale Forscherinnen und Forscher dankend abwinken, wenn sie die bauliche Infrastruktur ihres künftigen Arbeitsplatzes sehen.
„Die besten Köpfe für Bayern gewinnen“ geht so jedenfalls nicht. Wir müssen dafür überhaupt einmal die Voraussetzungen schaffen.
600 Millionen für Hochschulneubau UND Sanierung? Lächerlich. Sie wissen es selbst: Der Sanierungsstau allein bei den großen Baumaßnahmen beträgt mindestens 5 Milliarden . Vor fünf Jahren waren es noch 3 Milliarden Euro. Seither wurde nichts abgebaut, sondern die Zahlen Jahr für Jahr nach oben korrigiert. Wenn Sie nicht endlich langfristig mehr Geld für Sanierung und Bauunterhalt in die Hand nehmen, wird den Sanierungsstau auch zehn Jahren nicht beseitigt sein – darauf weisen wir ebenfalls seit Jahren hin!
Ich habe mittlerweile kein Vertrauen mehr darin, dass diese Regierung das Problem der maroden Infrastruktur alleine in den Griff bekommt. Wir brauchen deswegen endlich ein Bund-Länder-Programm zur Hochschulsanierung.
Kolleginnen und Kollegen,
wenn man ein neues Haus bauen will, braucht man zunächst ein solides Fundament.
Seit Jahren beklagen die Hochschulen im Freistaat sich über die mangelnde Grundfinanzierung. Wir haben dieses Jahr wieder ein Rekordhoch an Einschreibungen, aber die Gelder haben in Relation zu Studierendenzahlen keineswegs schrittgehalten.
Ich wundere mich angesichts dessen nicht, dass das Ergebnis der jüngsten Exzellenzrunde so enttäuschend ausfiel.
Während Baden-Württemberg jetzt vier Exzellenzuniversitäten hat, hat Bayern nur zwei in München und ist an zwei Exzellenzclustern beteiligt. Für einen Flächenstaat wie Bayern ist das ein Armutszeugnis.
Mit 1.000 neuen Professuren aufzustocken klingt vielleicht auf den ersten Blick gut. Aber gehen diese Stellen alle in High-Tech-Projekte oder wird damit die Struktur unserer Hochschulen wirklich nachhaltig verstärkt? Gerade die neueren Universitäten brauchen überhaupt nicht an die Beteiligung an Exzellenzclustern denken, wenn viele Fächer nur mit einer Professur ausgestattet sind.
Hinzu kommt: Fächer wie die Geographie, die zentral für aktuelle Herausforderungen wie die Landesplanung oder Klimafolgenanpassung wären, wurden in der Vergangenheit radikal zusammengestrichen. Die Umweltwissenschaften wurden im Freistaat nie wirklich etabliert. Unter Stoiber, der vorhin zitiert wurde, wurde in Erlangen sogar die KI als Forschungsbereich gestrichen.
Ihre Vorschläge werden die Klassengesellschaft an unseren Hochschulen nur weiter voranzutreiben. Die Exzellenz bleibt auf München beschränkt, einige Leuchttürme werden gefördert, und für den Rest gilt: Zu wenig Butter auf zu viel Brot.
Da hilft es auch wenig, dass in der Vergangenheit immer neue Initiativen zur wissenschaftsgestützten Strukturpolitik etabliert wurden, die aber bis heute trotz Ankündigung von Ihnen, Herr Sibler nie evaluiert wurde.
Ich würde gerne wissen, wie die nachhaltige Finanzierung der 1.000 neuen Professuren aussieht. Denn Gelder hat die Staatsregierung in ihren Verlautbarungen bislang immer nur für die kommenden vier bis fünf Jahre angekündigt.
Eine Flexibilisierung der Lehrdeputate im Sinne einer Pool-Lösung finden wir gut, aber reine Forschungsprofessuren lehnen wir ab. Denn Forschung und Lehre muss miteinander verzahnt bleiben.
Gestern haben wir erst wieder im Ausschuss gesehen, was passiert, wenn die Lehre kaputtgespart wird: Mittlerweile basiert sie zum Großteil auf prekärer Beschäftigung.
Für die wachsende Zahl der Lehrbeauftragten, die keine Karriereperspektive haben, aber einen Großteil der Lehre schultern, muss die Ankündigung der „Besten für Bayern“ angesichts dessen wie Hohn und Spott klingen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir müssen in der Tat über die Strukturen der Hochschulen reden.
Der Ruf nach mehr Effizienz darf nicht zu einer noch stärkeren Hierarchisierung der Hochschulen führen. Wir brauchen demokratische Strukturen, in die alle Träger*innen der Wissenschaftsfreiheit einbezogen werden – auch die Studierenden!
Dass unsere Forschung effizient und effektiv genutzt werden kann, dafür brauchen wir mehr Wissenstransfer. Und zwar in Wirtschaft UND Gesellschaft. Und da sind wir wieder beim vielbeschworenen Anwendungsbezug. Es kann nicht sein, dass gerade die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die diese Aufgabe ausüben, nahezu komplett auf Drittmittel angewiesen sind. Geben sie Ihnen endlich die lange versprochene Grundfinanzierung damit Sie ihre Stärken auch ausspielen können!
Und an der Stelle an die Kollegen von der FDP: Eine Hochschulreform nach amerikanischem Vorbild kann nicht gelingen, wenn wir dabei die schlechtesten Teile unseres aktuellen Hochschulwesens beibehalten, wie die mangelnden Karriereperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs und nur vereinzelte Elemente der amerikanischen Top-Unis übernehmen, die im Summe auch noch ganz andere Ressourcen und Voraussetzungen haben.
Auch wenn die geplante TU Nürnberg mit ihrer Departmentstruktur und einem guten Betreuungsschlüssel ganz spannende Ansätze hat, darf sie hier nicht die eine Ausnahme bilden, während bestehende Hochschulen alleingelassen werden.
Bayern sollte sich nicht zu fein sein, mal über den Tellerrand zu sehen und Best-Practice-Beispiele anderer Bundesländer zu übernehmen. Baden-Württemberg hat mit großem Erfolg Reallabore eingerichtet, in denen Forscherinnen und Forscher zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Lösungen für Probleme erarbeiten und austesten können – beispielsweise auch in der Landesentwicklung oder der Mobilität. Da dürfte sich die Staatsregierung gerne mal ein Vorbild nehmen.
Ich fasse zusammen: Wir sind der Ankündigungen der Staatsregierung müde. Unsere Wissenschaftslandschaft braucht ein solides Fundament um in der Exzellenz, wie in der Fläche top zu sein. Dazu gehört, dass man vor den offensichtlichen Baustellen nicht länger die Augen verschließt. Dafür hätten sie dann auch unsere Unterstützung.
[1]Quelle: FuE-Ausgaben der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2016. Hier: Regionalisierung nach Ländern. Im:
Sachstandsbericht zum 3 %-Ziel für FuE an die Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und
Ländern, hrsg. von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) 2019, S. 19.
https://www.gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/GWK-Heft-62-Strategie-Europa-2020.pdf