Foto: Stadtkirche Bayreuth

„Was heißt es heute protestantisch zu leben?“ – Vortrag in der Stadtkirche Bayreuth

REFORMATIONSJUBILÄUM

Zum Lutherjahr 2017 stellt sich die Frage, inwieweit die Reformation in die Politik hinein gewirkt hat und noch wirkt. Und umgekehrt. Zumindest sind heute in der Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, dem „Kirchenparlament“, auch politische Mitglieder aus den großen Parteien des Bayerischen Landtags berufen. Genau diese kommen für 2017 in die Stadtkirche Bayreuth, um aus ihrer Sicht als Politiker/in und evangelische/r Christ/in der Frage nachzugehen: Was heißt es für mich persönlich und politisch, protestantisch zu leben? Wo findet sich in meinem Leben und Handeln womöglich ein Erbe Luthers?

Auf Einladung der Stadtkiche Bayreuth durfte Verena Osgyan dazu am 23. Mai 2017 in Ihrer Funktion als Landessynodale und Grünen-Politikerin zum Thema „Was es heute heißt, protestantisch zu leben“ sprechen.

Ihr persönlich-politisches Resümee dazu: „Wir müssen uns einmischen, denn wir stehen ja gerade als Christinnen und Chriten nicht neben der Welt, sondern sind ein Teil von ihr!“

Hier Verenas Rede im Volltext:

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren!

es freut mich wirklich sehr, dass ich heute hier in Bayreuth sein darf, um mit Ihnen der Frage: „Was heißt es heute protestantisch zu leben?“ auf den Grund zu gehen. Eine Frage, die im Jahr des Reformationsjubiläums besondere Berechtigung hat.

Wie ich hörte, haben die Kollegen Peter Meyer (Freie Wähler) und Markus Rinderspacher (SPD) bereits das Vergnügen gehabt, Dr. Markus Söder (CSU) wird folgen. Wie die drei, bin auch ich keine studierte Theologin. Mein Blick auf Kirche und Religion ist eher der eines einfachen Kirchenmitglieds, und natürlich, einer evangelischen Politikerin. Schließt sich protestantisch zu leben und politisch aktiv zu sein aus? Ich meine, nein, im Gegenteil.

Persönlicher Bezug zum Glauben

Die evangelische Kirche ist wohl die einzige Gemeinschaft, in der ich schon länger Mitglied bin als bei den Grünen. Wie sicher bei den meisten von uns, war der erste Berührungspunkt die Taufe, später die Konfirmation und bei mir auch noch die Hochzeit.

Vielleicht geht es Ihnen wie mir, wenn ich sage: Ich erinnere mich auch noch an den ein oder anderen Gottesdienst, der mich besonders berührt hat.

Und vielleicht haben sie wie ich die Erfahrung gemacht, dass Gemeinden in ganz erheblichem Maß einen Kitt bilden können, um eine auseinander driftende Gesellschaft zusammenzuhalten. Denn sie geben allen Gemeinschaft, egal ob arm oder reich, jung oder alt, männlich oder weiblich, hier geboren oder zugewandert, behindert oder nicht behindert, jeder und jede ist gleich wert und Kind Gottes.
Und vielleicht erscheint Ihnen diese Eigenschaft gerade in diesen bewegten Zeiten genauso wichtig wie mir.

Als gebürtige Eckersmühlnerin, einem kleinen Ort bei Nürnberg, bin ich in einem traditionell evangelisch geprägten, ländlichen Umfeld aufgewachsen, wo Kirche und Gemeinde Halt in allen Lebenslagen geboten haben, aber auch die soziale Kontrolle sehr strikt war. Evangelisches Kernland, im Nachhinein betrachtet aus heutiger Sicht auch schon wieder eine untergegangene Welt.

Wenn ich zurückblicke, sehe ich unsere barocke Dorfkirche, den Nachfolgebau mehrerer viel älterer Kirchen, in dem neben einem riesigen, strengen Lutherbild auch ein Altar mit den vier Evangelisten und passend unpassend dazu jeder Menge barocker Putten. Wahrscheinlich haben sie bei uns auf dem Land den Bildersturm im Zuge der Reformation einfach nicht mitgekriegt. Der Posaunenchor, bei dem das halbe Dorf dabei war, blies ernsthaft wie schief frühbarocke Choräle von Paul Gerhard und alte Frauen mit Kopftüchern saßen in den hinteren Bänken, korrigierten die Konfirmandinnen und Konfirmanden streng, wenn sie bei ihrer Prüfung irgendeinen Psalm falsch aufgesagt haben.

Wir waren seit der Reformation, durch alle Wirren des Dreißigjährigen Kriegs hinweg, der zwei Drittel unserer Bevölkerung ausgelöscht hatte, nahezu ausschließlich Evangelische im Dorf, erst nach dem Krieg wurde durch die Flüchtlinge – die übrigens in den 80er Jahren noch so genannt wurden – eine katholische Gemeinde mit eigener Kirche gegründet. Unser damaliger Pfarrer hat uns Kindern dennoch immer ein tiefes Misstrauen gegenüber den Katholiken eingeimpft, und wir haben die katholischen Kinder immer schwer bemitleidet, weil wir so eine schöne alte Kirche hatten und sie einen schnöden 60er Jahre Bau.

Emotional prägend war für mich mit Sicherheit die Erfahrung von Gottvertrauen, das ich immer wieder in meiner Familie gespürt habe, sowie der Gedanke, dass vor und nach uns das Generationen so erfahren und weitergegeben haben.

Als Kind habe ich mit großer Neugier immer wieder unsere uralte Familienbibel angesehen und mir vorgestellt, wer vor mir alles da hereingesehen hat. Die Bibel ist von 1555, hat alte Holzschnitte und ist an allen Seiten angekohlt. Es ist völlig unklar, wie das in meine damals kleinbäuerliche Familie geraten ist und wie die Bibel überhaupt durch den Dreißigjährigen Krieg gekommen ist (wahrscheinlich war es ursprünglich die Dorfbibel, die mehr oder weniger gerettet wurde), aber offensichtlich war sie vielen, vielen Generationen wichtig genug, um sie zu hüten und weiterzugeben.

Das gefällt mir nach wie vor sehr gut, auch als Symbol für eine Haltung, sich einerseits auf eine lange ungebrochene Tradition zu stützen und andererseits die Herausforderungen der Zeit anzunehmen und den einen oder anderen Zopf auch einmal mutig – oder notgedrungen abzuschneiden.

Das sehr ich auch als unseren Auftrag für das Reformationsjubiläum: Zu schauen, wo kommen wir her, was haben wir Protestanten erlebt und gelernt auf der langen Reise, und wo soll es hingehen

Was mir geblieben ist vom – nennen wir es Kinderglaube –ist sicher Grundvertrauen in Gott, die Liebe zu Paul Gerhard und die Erkenntnis, dass Ökumene, interreligiöser Dialog und so weiter auch in dieser ach so aufgeklärten Republik ein im Wesentlichen sehr neues und noch längst nicht so verfestigtes Prinzip ist.

Es gibt noch immer jene, die uns Glauben machen wollen, die anderen Religionen seien rückschrittlich und unsere als Hort der Toleranz inszenieren. Hier hat sich bei uns vielleicht sehr viel getan, aber erst in jüngster Zeit.

Mit 20 Jahren wurde mir persönlich das eher traditionelle Umfeld auf meinem Dorf zu eng – ich bin unter dem Motto „Stadtluft macht frei!“ zum Studieren in die nächstgelegene Großstadt nach Nürnberg gezogen und hatte dort anfangs eher weniger mit der Kirche am Hut. Dann merkte ich, dass es dort eine ganz andere Interpretation von Gottesdiensten und offenen Angeboten, gerade in der „Eine Welt- Arbeit“, gab, die ich dann wiederum sehr ansprechend fand.

In meiner jetzigen Heimat Nürnberg habe ich Kirche so erlebt, dass sie Kunst und kulturelles Erbe bewahrt und fortschreibt, aber vor allem auch über die Gemeinden hinaus in ihren Diensten und Werken wichtige Eckpfeiler in der Bildungs- und sozialen Arbeit setzt und dabei spannenden Herausforderungen in einem heterogenen, multikulturellen Umfeld gegenüber steht.

Ich durfte die evangelische Kirche als eine bunte und vielfältige Gemeinde kennenlernen, die nicht nur von Kinder- und Ehelosen alten Männern geleitet wird, die sich nicht vor Reformen drückt und eben auch eine Kirche am Puls der Zeit ist. Eben eine Gemeinschaft, die Menschen in ihrer ganzen Vielfalt annimmt.

Und ich bin überzeugt, dass dies einer der Wege ist, den unsere Kirche künftig beschreiten muss, um relevant zu bleiben. Nicht nur die Gemeinden, sondern auch die zunehmende Zahl an „Einzelchristen“ ins Auge zu nehmen, die dennoch Angebote brauchen, die sie da abholen wo sie gerade stehen.

Protestantisch zu sein und ist in fast allen Millieus, auch in meinem alten Heimatdorf, längst nicht mehr selbstverständlich. Es ist mittlerweile eine bewusste Entscheidung.

Damit müssen wir umgehen und der Tatsache ins Auge sehen, dass wir als Kirche schrumpfen, weniger werden, auch nicht mehr alle Angebote weiterführen werden können.

Das ist Kernthema des Prozesses „Profil und Konzentration“ der Landeskirche, zu sehen, was ist wichtig, auch und gerade in geistlicher und gesellschaftlicher Sicht, und dann erst zu sehen wo gespart werden kann.

Ein Verfahren das ich mir auch im Politischen Betrieb oft wünschen würde. Wir nennen es da „Aufgabenkritik“, und hier sehe ich dass die Kirche doch Vorteile hat in solchen Prozessen, weil sie nicht in Legislaturperioden denken muss sondern längere Zeitläufe im Blick haben kann.

Bezug zum Glauben und Mitglied der Grünen

Sie haben es vielleicht aus den ersten Ausführungen von mir bereits gemerkt: Die evangelische Kirche ist für mich ist eben eine Kirche, eine Gemeinde, die sich auch gut mit meinen GRÜNEN Idealen verträgt, und eben auch eine Kirche, die nicht in Widerspruch zu meinem politischen Engagement steht.

Als Evangelische und Grüne möchte ich gleichzeitig Kirche und Gesellschaft weiter entwickeln, denn Reformation ist ein Auftrag nicht stehenzubleiben. Vieles deckt sich auch ganz konkret mit meinen Grünen Zielen – bei uns in der Partei heißt es „Erhalt der Lebensgrundlagen“ – Christinnen und Christen nennen es „Bewahrung der Schöpfung“. Der Sinn dahinter ist der gleiche. Dieses Ziel ist wichtiger denn je, denn die Schöpfung ist bedroht – Klimaerwärmung, Verteilungskrisen, Artensterben, Flucht und Vertreibung, Konflikte – da geht es nun wirklich an die ganz großen Themen.

Und hier könnte eine weitere Antwort auf die Frage versteckt sein, was es heute heißt protestantisch zu leben: Nicht einfach neben der Gesellschaft zu stehen, sondern dort wo es nötig und möglich ist einzugreifen.

Heute Protestantisch zu leben könnte dann zum Beispiel heißen: Denen zu helfen, die Hilfe brauchen, und kompromisslos für Schwache, für Entrechtete, für den Erhalt der Schöpfung einzustehen, ungeachtet angeblicher ökonomischer Zwänge und durchaus auch gegen den aktuellen politischen Mainstream.

Wir Christinnen und Christen leben ja nicht in unserem eigenen, perfekten Reich – sondern mitten in der Welt. Deshalb müssen wir uns auch gegenüber den Läufen der Welt positionieren, wollen wir nicht Gefahr laufen uns im Zweifelsfall durch Ignoranz schuldig zu machen.

Und hier sind wir schon bei einem ersten Thema, welches mich als Protestantin und Politikerin – und vielleicht ja auch Sie – in den letzten Monaten viel beschäftigt hat. Der Frage des Umgangs mit Geflüchteten und dem Kirchenasyl.

Der Frage des Umgangs mit Geflüchteten, Kirchenasyl, Rechtsextremismus und Gleichberechtigung

Viele evangelische wie katholische und auch anderskonfessionelle Christinnen und Christen haben sich für Flüchtlinge engagiert, sei es in Helferkreisen und in Gemeinden, unabhängig von ihrer sonstigen politischen Haltung, häufig auch unabhängig von ihrer Haltung zu Fragen der Zuwanderung allgemein. Es ist einfach ein Gebot der Mitmenschlichkeit denen zu helfen die in Not sind, und viele Christinnen und Christen haben das begriffen und angenommen.

Was bedeutet das aber, wenn diese Haltung mit Gesetzen oder Verwaltungshandeln in Konflikt kommt? Und da sind wir bei einer Frage, das mich als Evangelische und Politikerin derzeit sehr bewegt, die Frage des Kirchenasyls.

Kirchenasyle haben in unserer christlich-abendländischen Tradition einen geschichtlich weit zurückreichenden und hohen Stellenwert. Das Kirchenasyl ist oft der letzte Ausweg für Hilfssuchende in Not.

Bislang wurde dieser Schutzraum im Rechtsstaat weitgehend akzeptiert. Heute ist für manche Flüchtlinge das Kirchenasyl oft die letzte Chance, um einer Abschiebung zu entgehen.

Das Kirchenasyl ist für viele der allerletzte Ausweg vor Verzweiflungstaten, vor dem Suizid oder dem Leben in der Illegalität. Das Kirchenasyl ist für Kirchengemeinden in diesen Fällen absolute Notlösung, um Schlimmeres zu verhindern.

Der Evangelische Landesbischof Herr Bedford-Strohm hat recht, wenn er angesichts der staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren gegen bayerische Pfarrerinnen und Pfarrer klarstellt, dass das Kirchenasyl eine „ultima ratio [ist], die keinen eigenen Rechtsweg darstellen soll, sondern eine in der Geschichte der Kirche entwickelte humanitäre Notlösung ist, die Raum schafft für nochmalige rechtliche Prüfungen und die Verhinderung besonderer humanitärer Härten“. Die sehr begrenzte Zahl von weniger als 60 Kirchenasylen in der Evangelischen Kirche in Bayern zeige, dass die Gemeinden sehr verantwortungsvoll mit diesem Instrument umgehen.

Die Debatte um das Kirchenasyl, aber auch das Kirchenasyl an sich, könnten wieder als Beispiel herangezogen werden, was es heute heißen könnte, protestantisch zu leben: Denen zu helfen, die Hilfe brauchen.

Dort einzugreifen, wo eingegriffen werden muss.

Ob Martin Luther das so ähnlich im Hinterkopf hatte, als er seine Thesen in Wittenberg angeschlagen hat? Ich weiß es nicht, niemand kann es wissen. Was wir aber über Luther wissen, sollten wir nicht vergessen.

Martin Luther, das Lutherjahr 2017

Das Jahr 2017, das 500-jährige Jubiläum der Reformation, es ist ein Fest, es wird gefeiert! Aber wie bei jedem Fest, wie bei jeder Feier, besteht das Risiko einer einseitigen Betrachtung. Wir sollten uns in diesem Jahr an Luther erinnern. Und an das, was wir über ihn wissen. Nicht nur an das, was wir über ihn wissen wollen.

Unbequem sein, aufbegehren gegen das Falsche, das ist schon seit Luther gute, protestantische Tradition.

Das „Hier stehe ich, ich kann nicht anders…“ hat mich mit Sicherheit beeinflusst in meinem Denken und Handeln. Der Mut, seine Thesen anzuschlagen. Die Konsequenz, das eigene Gewissen als höchste Instanz im Handeln und im Dialog mit Gott heranzuziehen – nicht das, was Autoritäten vorgeben – ist protestantisch – und wie ich finde sehr politisch.

Hier hat uns Luther geprägt, er war revolutionär, er hat mehr als einmal das Unaussprechliche gesagt, das Undenkbare getan, und damit die Welt aus ihren Angeln gehoben. Ein perfektes Vorbild für Politikerinnen und Politiker, möchte man meinen…

Und wenn ich meine Arbeit im Landtag bedenke, als Oppositionspolitikerin, bei der Widerspruch und Kontrolle der Regierung quasi die Arbeitsplatzbeschreibung ist, merke ich das protestantische Gen durchaus, dass mich immer wieder anstachelt mein Wort zu erheben, wenn ich verspüre, dass es notwendig ist, manchmal auch gegen taktische Vernunft, weil der Auftrag meiner Wählerinnen und Wähler nicht sein kann, dass sie mich in den Landtag gewählt haben, um den Mund zu halten. Auch und gerade als Frau.

Das Erbe Luthers, das wir Protestanten mehr oder weniger in uns haben, heißt aber auch: Die eigenen Schwächen, die Fehler von Luther und die Fehler der evangelischen Kirche nicht unter den Tisch fallen zu lassen.

Reformation ist ein Auftrag nicht stehenzubleiben: Luther ernst nehmen heißt somit auch Luther aus seiner Zeit heraus begreifen. Seine Haltungen zu manchen Themen zu kritisieren und zu thematisieren, wenn Sie unserem heutigen Verständnis der Menschenrechte entgegenlaufen.

Was es heute heißen muss, protestantisch zu leben – und hier will ich sehr deutlich sein – ist, sich von den judenfeindlichen Aussagen und Betätigungen Luthers und anderer Reformatoren klar zu distanzieren. Wir dürfen an unserer Schuldgeschichte nicht vorbeigehen, wie es die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland im Jahr 2015 so treffend formulierte.

Was es also heute heißt, protestantisch zu leben: Denen zu helfen, die Hilfe brauchen. Dort einzugreifen, wo eingegriffen werden muss.

Und was es heißen muss: jeder Form von Judenfeindschaft und Antisemitismus auch in den eigenen Reihen und in der eigenen Kirche entschieden entgegenzutreten, also aus der Vergangenheit den einzigen unausweichlichen Schluss zu ziehen: Nie wieder!

Leider haben wir in Bayern, aber insbesondere bei uns in Franken immer noch einen verfestigten rechtsextremen Bodensatz, der unser Miteinander gefährdet, Mitbürgerinnen mit Zuwanderungsgeschichte ausgrenzt und das gesellschaftliche Klima vergiftet.

Im Kampf gegen Rechtsextreme und antidemokratische Tendenzen müssen Politik und Kirche daher weiterhin eng zusammenarbeiten. Mich hat es auch sehr gefreut, dass trotz der Entwicklungen rund um Pegida und Co, hier gerade die Kirchen und insbesondere auch unser Landesbischof diejenigen waren, die von Anfang an ganz klar Stellung bezogen haben.
Die Evangelische Landeskirche hat deshalb letztes Jahr ein Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus beschlossen hat, dass den Gemeinden eine wichtige Basis ihrer Arbeit sein kann.

Christinnen und Christen können nicht rechtsextremen Strömungen anhängen und trotzdem glauben, denn vor Gott sind alle Menschen gleich wert. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die die einen über die anderen stellt, weil sie anderswo herkommen, eine andere Hautfarbe haben, weniger schnell lernen u.s.w. hat darin keinen Platz. Hier darf es keine Kompromisse geben.

Was es also heute heißt, protestantisch zu leben, ist an der Stelle auch ganz klar: sich gegen rechtsextremistische und anti-demokratische Strömungen zu positionieren und sich weiterhin für eine offene, demokratische und gewaltfreie Gesellschaft einsetzen!

Wenn wir dies ernstnehmen, müssen wir auch an weiteren Stellen klar benennen, wo wir heute eine ganz andere Auffassung haben als 1517.

Zum Beispiel bei der Haltung gegenüber Frauen und homosexuellen Menschen und ihre Einbindung als gleichberechtigte Mitglieder der Kirche und der Gesellschaft.

Luther und die Frauen

Luther hat das Zölibat geschleift, mit seiner Frau Katharina von Bora eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft gegründet und damit der Gemeinschaft alter Männer, die in der Katholischen Kirche heute noch den Ton angibt, ein lebensfreundliches Modell entgegengesetzt, in dem Glaube und menschliche Nähe kein Widerspruch sein muss.

Dennoch müssen wir konstatieren: Luther war kein Feminist. Dass das „Weib“ sein Wort erheben durfte in der Kirche, war bei ihm nicht vorgesehen.

Dass wir dennoch hier als evangelische Kirche nun Frauen auch im Verkündigungsbereich haben, ist eine relativ neue Entwicklung. Erst 1975 wurde in Bayern die erste Pfarrerin ordiniert.

Unsere Kirche war hier vielleicht spät dran, hat sich hier aber – in bester protestantischer Tradition bewegt und die Herausforderung angenommen. Und nicht zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass dafür jahrelang, jahrzehntelang, jahrhundertelang viele Frauen in unserer Kirche und in unserer Gesellschaft gekämpft haben, deren Namen im Lutherjahr wenn überhaupt nur als Randnotizen vorkommen.

Das ist mir insbesondere als Frau wichtig, denn ich könnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich Teil einer Kirche bin, in der ich nicht die gleichen Rechte in spiritueller oder funktioneller Hinsicht hätte wie unsere männlichen Mitglieder.

Mit unserer selbstverständlichen Mitwirkung von Frauen auf allen geistlichen Ebenen oder der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen haben wir hier als evangelische Kirche in Bayern und in Deutschland bereits einen weiten Weg zurückgelegt, aber auch sicher noch viele andere Schritte vor uns.

Und auch der Frauenanteil in den kirchenleitenden Gremien ist ja durchaus erfreulich, wir haben hier mit Dorothea Greiner eine Landesbischöfin, in der Synode als Kirchenparlament sind wir mit 40% deutlich besser als der Bayerische Landtag mit lediglich 28% Frauen, wenn auch der vergleichsweise niedrige Anteil der weiblichen berufenen Synodalen hier leider den immer noch schwierigen Weg für Frauen in Spitzenpositionen von Wirtschaft und Politik widerspiegelt.

So kann unsere Kirche vielleicht in diesem Prozess auch durchaus Vorbild sein für den politischen Betrieb, bei dem sich hier relativ wenig bewegt.

Wir GRÜNE haben aufgrund der mangelnden Repräsentanz von Frauen in politischen Gremien, was klar gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstößt, mit vielen anderen Frauenverbänden zusammen, auch dem Evangelischen Frauenbund, dazu derzeit eine Popularklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben, und sind sehr gespannt was sich daraus ergibt.

Die Doppeldeutigkeit: Protest(antisch) im politischen wie auch im christlichen Sinne? Sehen Sie das zuerst politisch oder evangelisch?

Protestantisch zu leben ist primär ein Quell der Stärkung, und da mache ich keinen Unterschied zwischen privat und politisch. Wenn der christliche Glaube im Alltag verinnerlicht und gelebt werden kann, gibt es grundsätzlich wenig Widersprüche. Es ist aber auch klar, dass nicht immer alle guten Vorsätze den realen Umständen standhalten. Aber das geht uns vermutlich allen ähnlich, egal in welchem Beruf.

Dennoch glaube ich, wir genießen meist das Privileg, dass es privat wie politisch selten um die ganz schwerwiegenden Fragen geht – auch wir im Landtag entscheiden nahezu nie über Fragen von Leben und Tod, aber als Christin und zumal evangelische, bewegt mich schon immer wieder die Frage nach dem Gewissen, der Gewissensentscheidung und der Abwägung, wie man rechtzeitig erkennt, wenn es ums Ganze geht, und dann auch den Mut findet, sich richtig zu entscheiden.

Bei diesen Gedanken könnten wir an den Satz von Sophie Scholl denken: „Das Gesetz ändert sich, das Gewissen nicht“.

Ich sehe es als Glück an, dass ich für mich einen Grundkonsens mit meiner evangelischen Kirche verspüre, sonst hätte ich sicherlich die Aufgabe einer Synodalen nicht übernehmen können. Doch sicherlich bleiben auch viele Fragen, die mich persönlich als Christin aber auch als Politikerin umtreiben.

Protestantisch zu leben ist für mich zunächst sowohl evangelisch als auch politisch, denn bei meinem persönlichen christlichen Glauben als Mensch gibt es keinen Unterschied zwischen privat und politisch.

Als Abgeordnete ist man zudem – zumindest solange wir ein Mandat innehaben – immer Berufspolitikerin – 7 Tage die Woche, 12 Monate im Jahr, auch wenn das Parteibuch im kirchlichen Kontext für mich natürlich erst einmal keine Rolle spielt.

Dennoch: Es wäre Selbsttäuschung zu sagen, dass man den einen Hut automatisch an der Tür abgibt, wenn man die jeweils andere Sphäre betritt.

Und christliche Werte sind meines Erachtens eine Grundvoraussetzung für den ethischen Kompass, der bei politischen Entscheidungen ansteht.

Ich versuche daher einerseits so weit es mir gelingt, meine beiden Mandate als Landtagsabgeordnete und Synodale grundsätzlich als unabhängig voneinander zu betrachten. Das heißt aber nicht, dass ich meine Grundwerte nicht in beide Richtungen einbringen kann. Ich versuche mir darin so gut wie möglich treu zu bleiben, da ich davon überzeugt bin, dass das die Basis für ein demokratisches Miteinander ist.

Als GRÜNE sehe ich die Trennung von Staat und Kirche als grundlegende Voraussetzung für die positive Rolle von Kirchen- und Religionsgemeinschaften als Kräfte der Zivilgesellschaft an.

Das heißt aber nicht, dass wir wie in Frankreich Kirche und Staat im laizistischen Modell grundsätzlich trennen sollen.

Unser kooperatives Modell, dass z.B. Religionsunterricht an staatlichen Schulen und eine Teil-Finanzierung der Diakonie und anderer kirchlicher sozialer Einrichtungen durch öffentliche Einrichtungen vorsieht, hat sich bewährt und an dem möchten wir GRÜNE auch nicht rütteln.

Ich habe die Kirchen immer auch als wertvolle Bündnispartner politischen Handelns erlebt: im ökumenischen Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung, beim Eintreten gegen Fremdenfeindlichkeit und für internationale Verständigung sowie bei ethischen Fragen der modernen Gentechnik.

Gleichzeitig hat die Kirche als kompromisslose Mahnerin zugunsten der gesellschaftlich Benachteiligten eine besondere Funktion Politik in die Verantwortung zu nehmen, sei es im Einsatz für Flüchtlinge und Asylbewerberinnen, unsere Mitmenschen in der Einen Welt oder Sozial- und Bildungsbenachteiligte bei uns vor Ort, gleich welcher Konfession oder Religion.

Deshalb ist es unmöglich zu sagen, heute sehe ich meinen Glauben politisch und morgen evangelisch.

Im Wort „Protestant“ steckt ja schon der Protest an sich drin, die „Protestation“ war im 16. Jahrhundert ein herkömmliches Rechtsinstrument des Reichsrechts, mit der eine Minderheit von Ständen und Reichsstädten ihre Anliegen auf einem Reichstag vorbringen konnte. Das lateinische Verb protestari hat eine positive Grundbedeutung: „für etwas zum Zeugen aufgerufen werden“, „für etwas Zeugnis ablegen“.

Gerade für mich als Oppositionspolitikerin ist Protest natürlich ein Mittel, aus dem sich unsere Arbeit schöpft. Unsere Demokratie hat vorgesehen, das die Regierenden gestalten, die Opposition kontrolliert und bei Fehlentwicklungen protestiert.

Für mich hat dies bereits als Teenager, also lange vor meiner Zeit im Landtag z.B. bedeutet nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl gegen Atomenergie zu protestieren und zu demonstrieren – weil ich überzeugt war, dass es richtig ist, auch wenn die Mehrheiten damals andere waren.
Und kaum 30 Jahre später ist der Atomausstieg gesellschaftlicher Konsens, auch wenn die Energiewende noch längst nicht in trockenen Tüchern ist. Und das ist doch eigentlich ein sehr protestantisches Verfahren!

Protestantisch zu leben, heißt also sich als bekennender Christ in der Mitte der Gesellschaft zu befinden und im direkten Verhältnis zu Gott und zum Gewissen immer wieder für eine Sache „ein Zeugnis abzulegen“ , den Auftrag erfüllen sich zu entscheiden und nicht wegzusehen.

Die Frage des Gewissen ist die, die für mich einen Kernaspekt des „Protestantisch seins“ ausmacht. Es geht darum, seine eigene Richtschnur auszubilden, diese aus seinem Glauben heraus vertreten zu können – gegenüber der Gesellschaft, politischen Gegnern wie Freunden, auch gegenüber Gott, und nicht darauf zu bauen dass einen eine Absolution bei schlechten Entscheidungen wieder raushaut a la „Ich wars ja nicht“. Das wäre ein kindlicher Umgang mit Verantwortung, kein Erwachsener.
Das ist nicht einfach, das wissen wir alle. Ich glaube aber, dass ein Weg damit umzugehen wäre, Abstand von der Ohnmacht des schlechten Gewissens, also dem „Ich würde gerne, aber kann nicht“ zu nehmen.
Stattdessen kann jeder Verantwortung übernehmen für den Bereich, den er oder sie hat. Es ist wichtig, das Konkrete, das Mögliche anzustreben und weg von den Fantasien, dass man jetzt alles ändern und über Bord werfen muss. Das wäre ein erwachsener Umgang. Dietrich Bonhoeffer hat dazu einmal gesagt „Nicht im Möglichen schweben, sondern das Wirkliche tapfer ergreifen.“
Denen, die für einen isolierten Glauben einstehen, der nicht nach links und rechts sieht, sich nicht einmischt, sich nicht kümmert, möchte ich eine Weiterentwicklung des bekannten Zitats von Martin Niemöller entgegen halten:

„Als die Flüchtlinge unsere Hilfe brauchten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Flüchtling.
Als die Kurdinnen und Kurden in der Türkei eingesperrt wurden, habe ich geschwiegen; ich war ja keine Kurdin.
Als Unterkünfte brannten und Grenzen geschlossen wurden, habe ich geschwiegen; es ging ja nicht um mich.
Aber als ich Hilfe brauchte, war Niemand mehr da, der mir helfen konnte“

Da kann ich nur hoffen, dass mir der Glauben ein guter Ratgeber ist, wenn es soweit kommen sollte, dass ich mich selbst einmal in der Situation einer ethischen Entscheidung auf dem Prüfstand wieder finde.

Wenn ich da zurückblicke und zurückschaue, wie es auch in der Kirche immer wieder solche Scheidewege gab – nehmen wir einfach als Anlass den vor kurzem zurückliegenden 80. Jahrestag der Barmer Erklärung der Bekennenden Kirche– dann ist auch der Glauben nicht immer ein Garant im Rückblick das Richtige zu tun.

(Die Theologische Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen vom 31. Mai 1934 ist die zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1945)

Zu Zeiten des Dritten Reichs haben sich schließlich deutlich weniger Christinnen und Christen der oppositionellen Bekennenden Kirche angeschlossen als den regimenahen Deutschen Christen. Aber ich hoffe, dass solche Erfahrungen individuell und kollektiv helfen, daraus zu lernen und sich zu verbessern.

In diesem Sinne, ist es unsere Aufgabe die Reformation anzunehmen als das was sie ist: Ein Auftrag, nicht stehenzubleiben.

Luther ist mir wichtig als Reformator, Initiator, Katalysator.
Näher in meinem Glauben und Handeln sind mir im Lutherjahr aber Bonhoeffer und Niemöller, die vor erst 70 Jahren gezeigt haben, was es heißt protestantisch zu sein, und sich auch bei vermeintlich übermächtigen Gegnern für seine Überzeugungen zu entscheiden.

Ich möchte daher enden mit Bonhoeffers Gebet von den
guten Mächten Gottes.

Es hat für mich im guten Sinne etwas von einem Mantra. Denn es kann in Situationen, wo gerade alles zusammenzubrechen scheint, wieder Hoffnung und vor allem auch Stärke verleihen, ungeachtet von Ängsten, die wir alle immer wieder haben – und das mit Recht! – um trotzdem mit Zuversicht weiterzumachen und nach vorne zu schauen.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
Erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen
Und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Und letztlich ist das doch eine sehr trostreiche und optimistische Zusammenfassung was es heißt protestantisch zu leben, auch in Zeiten wo wir uns nicht mehr darauf verlassen können der Mainstream zu sein.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit und Geduld – ich freue mich auf die Fragen und die Diskussion!

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