München – Auf Initiative der Grünen Landtagsfraktion hin fand am 22. Mai im Wirtschafts- und Sozialausschuss eine gemeinsame Anhörung zum Thema „Auf dem Weg zu einer geschlechtergerechteren Wirtschaft – Care Ökonomie“ statt. Mit „Care-Ökonomie bezeichnet man den gesamten Bereich der bezahlten und unbezahlten Pflege- und Betreuungsarbeit, von der professionellen Pflege im Heim bis zur Hausaufgabenhilfe zuhause.
Verena Osgyan, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im bayerischen Landtag, hält es für wichtig, dass die im Rahmen der Care Ökonomie geleistete Arbeit in Zukunft nicht nur mehr Wertschätzung erfährt, sondern auch bezahlt wird. „Mehr als 80% der unbezahlten Sorgearbeit wird von Frauen geleistet. Sie tragen damit einen erheblichen Teil zur Wertschöpfung in unserer Volkswirtschaft bei, haben aber lebenslang ökonomische Nachteile, weil sie in dieser Zeit keine bezahlte Arbeit übernehmen können und entsprechend weniger Rentenansprüche bekommen. „Gleiche Bezahlung für Frauen und Männer bedeutet auch, dass beide für ihre Arbeit bezahlt werden und sich die Arbeit im Bereich Pflege und Betreuung nicht als einseitige ökonomische Sackgasse für Frauen erweist“, erläutert Verena Osgyan.
„Die Anhörung mit den Expertinnen und Experten hat gezeigt, dass in unserer Wirtschaft die Produktion materieller Güter immer noch ein attraktiveres Berufsfeld darstellt als der Dienstleistungssektor. Dies liegt auch daran, dass Arbeitsplätze in der Produktion überwiegend besser bezahlt werden“, erklärte Martin Stümpfig, stv. Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses. Erst wenn wir die Care-Ökonomie aus der Niedriglohnfalle herausholen, finden wir auch mehr Bewerber für freie Arbeitsplätze in dem Bereich.
Es wurde im Rahmen der Anhörung deutlich, dass unbezahlte Arbeit unseren Lebenstandard insgesamt erhöht, dies aber nicht gemessen oder gar gesellschaftlich anerkannt wird. Nach hartnäckigen Rückfragen von Verena Osgyan war klar, „dass ein eigenständiger bayerischer Wohlfahrtsindex uns hier einen großen Schritt voranbringen kann“. Auch der Ökonom Professor Dr. Schellberg ist überzeugt, dass ein solcher Index eine nachhaltige Wirkung auf die Lebensqualität hätte. Zudem wäre es eine kommunikative Wirkung für die Einrichtungen selbst, die damit ihre Wertschöpfung für die Gesellschaft schwarz auf weiß sehen könnten.
Die Care-Arbeit ist ein wirklich weitumgreifendes Querschnittsthema. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb bisher so wenig zu dem Thema geforscht wird und weshalb es politisch im Hintergrund steht, denn um das Thema zu bearbeiten, müssten Fachexperten und Betroffene aus folgenden Bereichen eingebunden sein, und die Aufzählung ist wahrscheinlich noch nicht einmal vollständig:
1. Gleichstellung
2. Wirtschaft
3. Landwirtschaft
4. Sozial- und Arbeitsmarktpolitik
5. Gesundheits- und Pflegepolitik
6. Migration
In der Anhörung wurde deutlich, dass die Politik sich dringend dieses Themas annehmen muss, findet Kerstin Celina, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik in der bayerischen Landtagsfraktion. Mit einer zunehmenden Überalterung der Bevölkerung wird in Zukunft die Nachfrage nach bezahlten Pflegedienstleistungen steigen, denn in immer weniger Familien ist es möglich, pflegebedürftige Angehörige mitzubetreuen. Eine professionelle Pflege zu Hause oder in einem Heim sei aber teuer, so Kerstin Celina, deshalb werden in Deutschland mehr als 150.000 Pflegekräfte aus Osteuropa in Privathaushalten beschäftigt, oft unter Arbeitsbedingungen, „die wir schon längst abgeschafft zu haben glaubten“. Das „Dienstbotenphänomen“ führe zu einer Zweiklassensituation: Ein Teil der Pflegekräfte arbeitet in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und erwirbt Rentenansprüche, andere sind nicht einmal gegen einen Unfall oder bei Krankheit finanziell abgesichert und führen im wahrsten Sinne des Wortes ein Schattendasein unter prekären Bedingungen, fern von ihrer Familie.
Die renommierte Professorin Dr. Susanne Esslinger hat mit ihren Aussagen unsere Forderung nach besserer Familienfreundlichkeit in der Berufstätigkeit unterstützt. Es gehe um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Nach ihrer Aussage könnte das bedingungslose Grundeinkommen eine Lösung sein.
Ulrich Leiner, Sprecher für Pflege und Gesundheit, wird auch von Dr. Jürgen Härlein unterstützt, der argumentierte, dass das wissenschaftliche Fundament im Pflegesystem fehle, solide Zahlen und Fakten müssten aber schnellstens erhoben werden, um handlungsfähig zu werden. Eine Handlungsoption sieht Ulrich Leiner in der teilweisen Akademisierung der Pflege. „Damit könnte die Attraktivität der Pflege- und Gesundheitsberufe erhöht werden und der sogenannte Care-Drain, nach dem Menschen aus den Berufen der Care-Ökonomie abwandern, verringert werden. Aber hier fehlen noch Zahlen über den tatsächlichen Bedarf. Auch die Durchlässigkeit der Berufe in dem Bereich ist noch lange nicht gewährleistet, bemängelt Ulrich Leiner, und erschwert so eine Bedarfsdeckung.
Frau Buls vom Deutschen Frauenrat unterstrich die Notwendigkeit der Frauenforschung. Der Reproduktionsbereich werde zu wenig wertgeschätzt.
Kein Arbeitsbereich komme ohne Carebereiche aus. Aber die Frage, „wer leistet für wen welche Arbeit?“ sei trotz seiner hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Dimension nicht im Fokus der politischen Entscheidungsträger. Allgemein werde immer noch akzeptiert, dass Frauen für Männer umsonst arbeiten, umgekehrt sei das aber nicht der Fall. Der Grundsatz: „Alle Menschen sollen sich selbst aus Arbeit ihre Existenz finanzieren können“ müsse sichergestellt werden.
Dass der größte Pflegedienst in Deutschland die Familie sei, sowohl ambulant als auch stationär, stellte auch Wilfried Mück von der Caritas fest. Er fordert eine Verbesserung der Rahmenbedingung – weg von einer Minutenpflege hin zu einer menschwürdigen Pflege. Eine attraktive und kostenfreie Altenpflegeausbildung sei vonnöten. Daneben stellt er die Forderung, dass wir endlich den Begriff Pflegebedürftigkeit neu definieren und das Thema Pflege salonfähig machen.
Frau Buls sieht auch die Erziehung als wesentlichen Teil in der Care-Arbeit bei den Frauen, der unentgeltlich gemacht wird. Es sei keine Privatangelegenheit, da dieser Arbeitsbereich ökonomisch sowie gesellschaftlich ausgeblendet und bisweilen abschätzig sogar als Freizeit betrachtet wird, was in Wortschöpfungen wie „Latte-Macchiato-Mamas“ deutlich wird.
„Frauen sind häufig abhängig: entweder von Männern oder vom Staat, indem sie Grundsicherung beziehen“ fasste Christine Kamm. Mitglied im Sozialausschuß, zusammen und fordert eine ökonomische und rechtliche Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Dazu müsse ein chancengerechtes Zusammenleben ermöglicht werden, und das traditionelle Rollenbild müsse endlich abgelegt werden. Christine Kamm unterstrich, dass die Familien entlastet werden müssten durch umfassende Angebote, Pflege gehe schließlich alle an, Männer und Frauen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Anhörung den Blick auf die Nöte innerhalb der Care-Arbeit geöffnet hat. Dass es, wie wir Grüne vermutet haben, eine gleichermaßen ökonomische wie gleichstellungspolitische Fragestellung ist, hat sich bestätigt. Einige Fragen blieben aber unbeantwortet: Welche Art von Dienstleistung wollen wir bezahlen, welche nicht? Welche Art von Dienstleistung wird und soll auch in Zukunft unbezahlt bleiben?
Wir werden jedenfalls ein Antragspaket aus der Anhörung schnüren, um das Thema „Care-Ökonomie“ in den Fokus zu rücken und konkrete Verbesserungen zu erreichen.