Gleichstellung in der Wissenschaft: Keine 100 Jahre mehr warten

PLENARREDE

Gleichstellung im Wissenschaftssystem geht nur schleppend voran. Frauen stoßen an den Hochschulen in Bayern noch immer an eine gläserne Decke was den beruflichen Aufstieg angeht. Bayern liegt hier leider deutlich unter dem Bundesschnitt. Die Grünen haben daher ein Antragspaket „Gleichstellung an den bayerischen Hochschulen verwirklichen“ eingebracht.

 

Hier finden Sie Verena Osgyans Rede im Wortlaut:

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wer von Ihnen geht davon aus, in 100 Jahren noch als Abgeordneter hier im hohen Haus zu sitzen?

Niemand von uns wird bis dahin noch Politik machen. Trotzdem begnügt die Mehrheitsfraktion sich mit einer Politik, mit der es 100 Jahre dauert, bis sich etwas verändert.

Meine Damen und Herren,
100 Jahre – so lange brauchen wir, bis wir Gleichstellung an unseren Hochschulen erreichen. Vorausgesetzt es geht im selben Schneckentempo voran wie in den vergangenen Jahren. Während wir schon lange genauso so viele Studentinnen wie Studenten im Freistaat haben ist bis heute weniger als jede fünfte Professur von einer Frau besetzt. Jungen Frauen fehlen die positiven Rollenvorbilder, die sie dazu ermutigen, eine wissenschaftliche Karriere einzuschlagen.

Es ist noch keine 100 Jahre her, da wurde in Deutschland erst die erste Frau zur Professorin berufen: Am 12. März 1923 wurde Margarete von Wrangell zur ordentlichen Professorin für Pflanzenernährung an der Universität Hohenheim ernannt. Damals stieß sie auf den erbitterten Widerstand einiger ihrer männlichen Kollegen, konnte sich aber trotzdem durchsetzen.

Und auch heute stoßen Bemühungen zur Gleichstellung von Frauen immer noch auf Widerstände: Auch und gerade bei der Bayerischen Staatsregierung.

Dabei sind die letzten 100 Jahre für Frauen in der Wissenschaft eine Erfolgsgeschichte gewesen.
Junge Frauen stoßen aber in ihrer Karriere immer wieder an gläserne Decken, durch die ihre männlichen Kollegen problemlos durchzuspazieren scheinen. Das haben wir auch in der Wirtschaft, aber n der Wissenschaft ist dieser Effekt besonders krass.

Ganz offensichtlich gibt es hier noch immer eine strukturelle Benachteiligung. So sind in Bayern von heute nur 18,7 % der Professuren mit einer Frau besetzt – in Berlin sind es über 30%. Gerade einmal jede zehnte wissenschaftliche Leitungsfunktion an Universitäten und ihren Fakultäten ist mit einer Frau besetzt.

Das wird auch nicht besser, wenn wir weiter wegschauen und uns ducken, so wie die Staatsregierung und die Mehrheitsfraktion es hier machen.

Was die Kolleginnen und Kollegen von der SPD und wir fordern, ist kein Teufelszeug. Es sind simple Werkzeuge, um Frauen in den Hochschulen mehr Repräsentanz zu verschaffen und ihnen so mehr Chancen zum Aufstieg zu geben.

Es ist seit langem in der Psychologie und Arbeitsmarktforschung bekannt, dass wir Menschen dazu neigen, bei Stellenbesetzungen ihnen ähnliche Bewerber zu bevorzugen. Die meisten Berufungskommissionen sind mehrheitlich männlich besetzt. Und so wundert es niemanden, dass mehrheitlich Männer berufen werden.

Die qualifizierte Frau auf Platz zwei eines Rufes zu hieven mag eine Ehre sein. Ihren Lebensunterhalt kann sie sich letztlich nicht damit verdienen. Wir verlangen deshalb, dass auch schon in Berufungskommissionen endlich Geschlechtergerechtigkeit herrschen muss. Und dass der Freistaat gemeinsam mit den Frauenbeauftragten der Hochschulen einen Leitfaden für geschlechtergerechte Berufungsverfahren erstellt.

Wir fordern für die akademische Einstellungspraxis außerdem ein Kaskadenmodell, wie es Nord-Rhein-Westfalen in seinem Hochschulgesetz verankert hat. Wenn in Bayern fast 30 Prozent der Habilitationen von Frauen stammen, soll im nächsten Schritt der Anteil der Professorinnen auf die gleiche Quote erhöht werden. Wenn 45 Prozent der Dissertationen von Frauen eingereicht werden, dann sollte sich das auch bei den Habilitationen niederschlagen. Die Zielquoten sollen nur für jedes Fach selbst gelten. So können wir auch dem Einwand begegnen, in manchen technischen Fächern gebe es einfach zu wenige Frauen.

Und nicht zuletzt dürfen auch die Hochschulleitungen kein Herrenclub bleiben. Wenn es darum geht, die Frauenbeauftragten an der Hochschulleitung zu beteiligen, reicht uns keine Kann-Bestimmung. Die gibt es bereits, aber nur eine, eine einzige bayerische Uni hat bisher davon Gebrauch gemacht.

Die Frauenbeauftragten müssen dauerhaft in die Debatten der Hochschulgremien einbezogen werden, nicht nur fallweise und punktuell. Die Entscheidungskultur hängt maßgeblich davon ab, dass auch dort Frauen angemessen vertreten werden. Deswegen brauchen wir eine Mindestregelung, die 40% Frauen in den Hochschulräten vorsieht. Damit wir eben nicht weitere 100 Jahre warten müssen, meine Damen und Herren, bis auch dort Frauen endlich gleiche Chancen haben!

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Sogar die Staatsregierung stellt in ihrem zweijährigen Bericht zur Gleichstellung in der Wissenschaft fest, dass der Anteil der Frauen in akademischen Führungspositionen aktuell stagniert. Es ist beschämend, dass aber weder die Staatsregierung selbst noch die Mehrheitsfraktion daraus einen echten Handlungsbedarf ableitet!

Die Staatsregierung schreibt weiter, dass es für die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen mehr Gleichberechtigung braucht. Dass Frauenförderung in der Wissenschaft ein Standortfaktor ist. Und auch die Deutsche Forschungsgesellschaft bezieht Gleichstellungskriterien mittlerweile in die Vergabe ihrer Gelder für Spitzenforschung mit ein.

Aber Bayern liegt beim Anteil der Professorinnen bundesweit – je nach Ranking auf dem drittletzten oder sogar allerletzten Platz. Exzellenz sieht anders aus! Wir schwächen unseren Standort, wenn wir den Besten Köpfen nicht die Chancen geben, die sie verdienen!

Und, meine Damen und Herren, lassen sie mich an dieser Stelle ein Thema noch anbringen, das ich als sehr wichtig erachte: Gerade von Rechtsaußen kommt in den letzten Wochen und Monaten immer wieder eine unglaubliche Wissenschaftsfeindlichkeit zu Tage, die wir hier schon lange nicht mehr gesehen haben. Geschlechterforschung und die Beschäftigung mit Geschlecht als Faktor in den verschiedensten Bereichen ist unglaublich wichtig um auch mit vernünftigen Fakten arbeiten zu können. Deshalb begrüßen wir auch den Antrag der SPD ausdrücklich, einen Genderreport für Bayern aufzulegen.

Jüngst hat erst der Landesfrauenrat, in denen auch die frauenpolitischen Sprecherinnen der anderen Fraktionen, kirchliche Verbände und viele andere Vereinigungen sitzen, eine Stärkung der Gender Studies im Freistaat gefordert. Geschlecht als Variable ist in allen Disziplinen Thema, nicht nur in der Soziologie. Also hören wir doch bitte damit auf, Spitzenforschung – die auf dem Gebiet auch immer mehr in Bayern passiert – zu diskreditieren und fördern Geschlechterforschung stattdessen.

 

Meine Damen und Herren,

Ich möchte noch einmal aus dem Bericht der Staatsregierung zitieren: „Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auch in Hochschulen wirkt sich unmittelbar auf die Qualität in Lehre und Forschung aus und bringt einen beträchtlichen Mehrwert.“

Die Staatsregierung rühmt sich stets damit, dass der Freistaat in allen möglichen Disziplinen Spitze ist. Wenn es um die Gleichstellung an Hochschulen geht, dann sind wir deutschlandweit allerdings völlig abgeschlagen. Ändern wir das hier und heute!

„Ich habe gelernt, dass der Weg des Fortschritts weder kurz noch unbeschwerlich ist“, hat Marie Curie einmal gesagt, bevor sie vor knapp 100 Jahren als erste und einzige Frau ihren zweiten Nobelpreis entgegen nehmen durfte.

Nochmal 100 Jahre warten ist einfach zu lang. Durch Nichtstun verschleißen wir bis dahin Generationen unserer besten Kopfe. Das können wir uns nicht leisten, bitte stimmen sie daher unseren Anträgen und denen der SPD zu.

Vielen Dank!

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