Frau hat die Wahl – im Landtag und in der Synode

REDEBEITRAG

Auf der Landesverbandstagung des Deutschen Evangelischen Frauenbunds am 2. Juli 2014 in Augsburg durfte Verena Osgyan eine Vortrag halten zum Thema „Frau hat die Wahl – im Landtag und in der Synode“ – eine Einladung die Verena als frisch berufene Synodale der ELKB sehr gefreut hat, denn mehr demokratische Beteiligung und Repräsentanz von Frauen in Politik und Gesellschaft   ist immer noch eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen.

Hier Verenas Redebeitrag im Volltext:

Über die Einladung, auf der Landesverbandstagung des evangelischen Frauenbunds zum Thema „Frau hat die Wahl“ zu sprechen, habe ich mich sehr gefreut. Ist die Frage nach der Wahlfreiheit doch eine, die eigenartigerweise vor allem im Zusammenhang mit uns Frauen diskutiert wird – dabei ist sie doch für beide Geschlechter relevant. Wenn also die Wahlfreiheit immer so betont wird, heißt das im Umkehrschluss etwa, dass sie wohl doch nicht so selbstverständlich ist?

Hat also Frau wirklich die Wahl, in der Kirche und in der Politik? Grundsätzlich: Ja. Wir haben die Wahl, unseren Glauben zu leben und Kirche mitzugestalten – zumindest bei uns Evangelischen – und wir haben die Wahl, die Demokratie zu stärken.

Für mich als Landtagsabgeordnete der Grünen in meiner ersten Wahlperiode und Sprecherin für Frauen und Gleichstellung sowie gleichzeitig neu berufenes Mitglied in der Evangelischen Landessynode ist, diese Wahlfreiheit auszuüben, zentraler Bestandteil meiner täglichen Arbeit.

 Zwei Parlamente – zwei Herangehensweisen

Zunächst einmal stelle ich fest, dass beide Mandate ähnliche Herausforderungen bieten, und wir haben gleichermaßen „unbequeme“ Fragen zu beantworten. Ob es um Asylthemen, die Bewahrung unserer Schöpfung oder – wie wir Grüne sagen würden -, den Erhalt unserer Lebensgrundlagen geht oder um die Bewältigung des demografischen Wandels: wir versuchen, Verantwortung zu übernehmen für die Gesellschaft als Ganzes und müssen darin immer auch Kompromisse finden.

Die Art, wie das im parlamentarischen Betrieb im Landtag und in der Synode geschieht, ist dabei grundsätzlich sehr ähnlich – es gibt Anträge und Antragsfristen, Ausschüsse zu verschiedenen Fachthemen die die inhaltliche Vorarbeit leisten und dann das große Plenum, in dem abschließend debattiert und abgestimmt wird. Unterschiedlich ist dabei die Art des Umgangs. Im Kirchenparlament wird grundsätzlich sehr konsensorientiert gearbeitet, Beschlüsse werden möglichst breit gefasst, damit sie auch von allen mitgetragen werden können, nebenbei bleibt Raum für gemeinschaftliche Besinnung und Andacht.

Im Landtag ist das anders – hier gibt es klare Fraktionen, der politische Wettbewerb lebt von der Polarisierung und Zuspitzung, gerade in den großen Plenardebatten, die letztlich vor allem dazu dienen, politische Prozesse medienwirksam gegenüber der Öffentlichkeit zu transportieren. Die Konfrontation zwischen den politischen Lagern ist dabei anerkannter Teil des Spiels und macht durchaus Sinn, um den Bürgerinnen und Bürgern die unterschiedlichen Standpunkte auch klar vermitteln zu können.

Als Politikerin in der Synode bin ich zwar als Vertreterin meiner Partei berufen, aber nicht im Sinne der Parteipolitik tätig. Natürlich versuche ich aber trotzdem, meine Erfahrungen und Grundwerte im Sinne der Kirche einzusetzen. In meinem Fall mache ich das durch Mitarbeit im Ausschuss für Gesellschaft und Diakonie, der aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen aus evangelischem Blickwinkel beleuchtet. „Das ist der Ausschuss, in dem die ganzen Politiker sitzen“, wie mir gleich bei der Einführung gesagt wurde. Hier fühle ich mich aber auch gut aufgehoben, denn hier kann ich mitreden, während bei anderen Themen wie z.B. der Weiterentwicklung des Pfarrersbilds Externe einfach zu wenig Einblick hätten.

Eine Hauptherausforderung der nächsten Jahre wird es sicherlich sein, sowohl Kirche als auch Politik für junge Menschen und gerade junge Frauen erlebbar und attraktiv zumachen, denn sie sind unsere Zukunft. Dafür ist gelebte Gleichstellung meiner Erfahrung nach eine Grundvoraussetzung.

Mit unserer selbstverständlichen Mitwirkung von Frauen auf allen geistlichen Ebenen oder der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen haben wir hier als evangelische Kirche in Bayern und in Deutschland bereits einen weiten Weg zurückgelegt. Ich habe mich selbst als Frau in der evangelischen Kirche immer respektiert gefühlt und könnte mir nicht vorstellen, Teil einer Organisation zu sein, in der Frauen beispielsweise kein geistliches Amt bekleiden dürfen. Diese Selbstverständlichkeit ist allerdings eine relativ junge Errungenschaft wenn man bedenkt, dass in Bayern die erste Frau erst 1977 ordiniert wurde und erst seit ca. 30 Jahren Pfarrerinnen und Pfarrer in der gesamten EKD formal gleichgestellt sind.

In der evangelischen Landessynode sind unter 88 gewählten Synodalen 36 Frauen, also knapp 41%. Das sieht schon einmal recht gut aus, weniger schön, dass unter den 14 berufenen Synodalen aus Wirtschaft, Organisationen und Parteien nur zwei Frauen sind. Das spiegelt aber leider nur unsere gesellschaftliche Realität wieder, in der Frauen in Führungspositionen immer noch extrem selten sind. Unterm Strich betrachtet lässt sich aber feststellen, in der Kirche haben Frauen die Wahl – noch nicht lange, aber immerhin!

 Der lange Weg zur Parité

Bis Frauen auch in der Politik die Wahl hatten, war es ebenfalls ein steiniger Weg, der immer noch von vielen Hindernissen begleitet wird.

Frauen können in Deutschland seit 1919 das aktive und passive Wahlrecht ausüben. Aber erst seit dem 18.1.1949 sind wir vor dem Gesetz gleich: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Das haben Elisabeth Selbert, Friederike Nadig, Helene Weber und Helene Wessel, die vier Mütter des Grundgesetzes gegen den Widerstand der 61 Männer im Parlamentarischen Rat in Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes aufgenommen. Sie hatten damit allerdings erst Erfolg, nachdem sie eine breite Unterstützung durch die sogenannte Waschkorbaktion der Trümmerfrauen erhielten, die massiv öffentlichen Druck aufgebaut hatten.

Seit der letzten Landtagswahl 2013, die auch mir zu einem Sitz verholfen hat, beträgt der Frauenanteil im Maximilianeum 30 %. Die Bandbreite innerhalb der Fraktionen ist aber sehr unterschiedlich und reicht von 20,8 % in der CSU-Fraktion bis zu 50% bei den Grünen – was meine Partei durch strikte Quotierung aller Wahllisten erreichen konnte, die zudem in der Regel durch Frauen angeführt werden. Im Bundestag gibt es einen Frauenanteil von 36,5 %, in den Bayerischen Stadt-, Kreis- und Gemeinderäten liegt er bei ca. 26%. Unterm Strich schrammen wir also ungefähr immer noch knapp unter oder über einem Drittel entlang.

Das heißt, dass 95 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts Frauen immer noch deutlich unterrepräsentiert sind. Dies hat leider auch für die Enkelinnen der Mütter des Grundgesetzes immer noch ganz konkrete Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung zu Themen, die überwiegend Frauen betreffen.

Es fehlen seit 65 Jahren Quotierungsgesetze für Aufsichtsräte und Vorstände, es fehlen wirksame Gleichstellungsgesetze für den Öffentlichen Dienst, Hochschulen und Gerichte sowie die Privatwirtschaft, es fehlen Entgeltgleichheitsgesetze zur Beseitigung des „Gender Pay Gaps“ von durchschnittlich immer noch 22% und des noch gravierenden Rentenabstands zwischen den Geschlechtern. Und es fehlen wirksame Regelungen zur paritätischen Besetzung von Bundes- und Ländergremien – um nur einige Beispiele zu nennen.

Die Drittelquote von Frauen, die bei uns mittlerweile in den Parlamenten sitzt, hat aber auch noch eine andere bedeutsame Komponente. Wir wissen aus vielerlei soziologischen Untersuchungen, dass erst ab einem Anteil von 30 % eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe innerhalb einer größeren Gesamtheit nicht mehr als die Ausnahme von der Regel angesehen wird. So gesehen haben wir damit gerade einen fragilen Normalzustand erreicht, was die Selbstverständlichkeit und Akzeptanz von Frauen in den Parlamenten betrifft.

Unsere Demokratie dient jedoch nicht der Repräsentanz von „gewichtigen Teilen“ der Bevölkerung, sondern der Repräsentanz des gesamten Volkes, d.h. der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger. So ist der Verfassungsauftrag gemäß Art. 38 I des Grundgesetzes.

„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“, so beurteilte die Juristin Elisabeth Selbert 1981 diesen unbefriedigenden Zustand. Damit steht sie nicht allein, es mehren sich die Stimmen, die ein verfassungskonformes und verfassungsrechtlich gebotenes Mittel zur Durchsetzung der tatsächlichen gleichberechtigten demokratischen Teilhabe von Frauen und Männern fordern.

Eine Möglichkeit ist eine verbindliche gesetzliche Regelung zur paritätischen Besetzung von Kandidatenlisten und Wahlkreisen durch die politischen Parteien für die Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen: Ein sogenanntes Paritégesetz.

Frankreich macht uns vor, wie so etwas geht: Seit dem Jahr 2000 gilt dort das „La loi sur la parité”, das eine Besetzung der Wahllisten im Reißverschlussprinzip vorsieht. Verstöße werden mit massiven Abzügen der Wahlkampfkostenhilfe sanktioniert. Eine so charmante wie wirksame Form der Steuerung, wie ich finde…

 Wie finden Frauen in die Politik?

Frauen haben die Wahl – und manchmal ist frau selbst die Wahl. Ein typisches Muster, das ich bei mir selbst wie bei vielen anderen Politikerinnen feststelle, ist, dass der Weg nicht von vorneherein geplant war, sondern sich Schritt für Schritt ergeben hat. Und wenn sich dann Türen auftuen, brauchen wir im richtigen Moment das Quentchen Mut, um auch tatsächlich hindurchzugehen.

Wenn ich an meine frühe Politisierung denke, hat mich sicherlich geprägt, dass ich aus einer Familie komme, in der oft politisch debattiert wurde – gerne am Frühstückstisch bei der Zeitungslektüre.

Als Teenager bin ich dann kurz entschlossen an einem Infostand in der Nürnberger Fußgängerzone den Grünen beigetreten. Meine Motivation waren der Einsatz der damals noch recht jungen Partei für Feminismus, Transparenz und Ökologie – es waren die Jahre nach dem Tschernobyl-Gau, der mich wie viele meiner Generation stark geprägt hat. Und es gab bei den Grünen viele Frauen, die in der ersten Reihe standen – das hat mich als junges Mädchen sehr beeindruckt. Über viele Jahre hinweg war ich daraufhin einfaches, passives Parteimitglied. Der Anstoß, selbst aktiv zu werden, kam tatsächlich erst sehr spät – Auslöser waren die erfolgreichen Proteste gegen die Laufzeitverlängerung der AKWs unter der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung die mir gezeigt haben: Ja, auch auf dich kommt es an. Wenn die Bevölkerung etwas wirklich will, setzt sich politische Vernunft gegen alle Widerstände durch. Was dazu führte, dass ich daraufhin regelmäßig an den Mitgliederversammlungen meines Kreisverbands teilnahm und mich irgendwann auch mit knallroten Ohren zu Wort meldete, um meine Meinung zu vertreten.

Anschließend ging ich neben meiner beruflichen Tätigkeit als Redakteurin den normalen Weg eines ehrenamtlich tätigen Parteimitglieds – Mitarbeit im Kreisvorstand und Bezirksvorstand, in verschiedenen Landesarbeitskreisen und Mitarbeit am Wahlprogramm. Da ich gerne schreibe, hat mir vor allem die Programmarbeit immer besonders viel Spaß gemacht. Die Frage nach einem Einstieg in die Profipolitik stellte sich erst – zu dem Zeitpunkt für mich selbst überraschend -, als unsere bisherige Nürnberger Abgeordnete Christine Stahl erklärte, nicht mehr erneut antreten zu wollen.

Der Entschluss, es ernsthaft zu versuchen war die eine, der darauf folgende zuerst innerparteiliche und dann eigentliche Wahlkampf die nächste Herausforderung. Das bedeutete auch zwangsläufig, sich durchzusetzen, denn zuerst einmal muss die eigene Partei in den Aufstellungsversammlungen überzeugt werden und dann die Wählerinnen und Wähler. Und dazu gehört auch die Arbeit am eigenen Image. Dazu gehört Reden üben, lernen, zum richtigen Zeitpunkt ins Bild zu hüpfen und gezielte Pressearbeit, um Bekanntheit aufzubauen – denn es geht immer auch um Sichtbarkeit, damit wir überhaupt die Chance haben, unsere Inhalte auch transportieren zu können. Mein persönliches Wahlkampf-Highlight war sicherlich – neben den diversen Kühen, die ich streicheln durfte, mein erster Bierzeltauftritt als ich bei einer Podiumsdiskussion auf dem Nürnberger Volksfest ausgerechnet im Haxn Liebermann unsere Initiative zum Veggietag verteidigen durfte.

Ich empfand den Weg in die Politik wie eine Weltreise – spannend, man wächst daran, insbesondere wenn man die eigenen Ziele durchsetzen möchte.

Gewählt – im Amt – und nun?

Bei der Landtagswahl 2013 hatte es für mich dann tatsächlich auch geklappt mit dem Einzug ins Parlament, und ich konnte feststellen dass als Berufspolitikerin nicht nur eine wesentlich höhere Schlagzahl gefragt war, sondern auch erneut die eigene Position bestimmt und gefunden werden muss. Die erste Wochen wirkten wie bei der Einschulung in eine neue Klasse, man muss lernen, sich innerhalb der Fraktion zu behaupten, bei der Verteilung der Themen und Ausschüsse die richtige Wahl zu treffen und lernen, sich im Team mit den anderen Abgeordneten und Fraktionsmitarbeiterinnen abzustimmen und einen gemeinsamen Arbeitsmodus zu finden. Man muss die parlamentarischen Abläufe und Instrumente verstehen und anwenden, und sich auch in die neue Rolle als Arbeitgeberin einfinden.

Wenn es dann einmal läuft, das Büro aufgebaut ist und die Spielregeln durchschaut sind fällt sowohl einiges an Arbeit innerhalb des parlamentarischen Betriebs als auch draußen vor Ort an – je nachdem ob ich zuhause in der Region deren spezifische Interessen vertrete oder bei meinen fachpolitischen Themen bayernweit für die Grünen spreche. Gerade die Frauenpolitik ist dabei für mich eines der spannendsten, aber auch schwierigsten Themen, da es ein Querschnittsthema ohne eigenen festen Ausschuss ist und daher erfordert, sich immer wieder proaktiv einzubringen und an die Belange der Frauen zu erinnern, die nicht automatisch mit bedacht werden.

Wenn man sich eine normale Woche anschaut, kann man schon das Gefühl bekommen, dass Politik ein hektisches Geschäft ist. Bei rund 150 Mails täglich, rund 25 Termine in der Woche von Ausschusssitzungen über Fraktions- und Plenarsitzungen und den einen oder anderen Hintergrundgesprächen sowie repräsentativem Termin ist es das bisweilen zwangsläufig – vielleicht kommt daher das Vorurteil, dass Politikerinnen und Politiker oberflächlich sind. In unserer täglichen Arbeit sind wir daher extrem auf die Unterstützung unserer persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen, da sich die Fülle an Aufgaben – von der Recherche bis zur Planung eigener Veranstaltungen sonst unmöglich bewältigen lässt.

Die Arbeit als Abgeordnete ist sicherlich nicht mit einer 40 Stunden-Woche bei geregelter Arbeitszeit vergleichbar, als Person des öffentlichen Lebens bin ich letztlich 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche im Dienst. Aber wenn ich dann sehe, wie wir gemeinsam, als Büro, als Fraktion Initiativen starten und immer wieder den Blick in den Ausschüssen auf das Wesentliche richten, merke ich, dass unsere Arbeit auch Früchte trägt. Ich werde dabei oft gefragt ob meine Rolle als Oppositionspolitikerin nicht frustrierend ist, aber auch das empfinde ich nicht so. Sicher wäre es schön, in der Regierung zu gestalten, aber als Opposition haben wir eine klare Kontrollfunktion und diese gut auszuüben ist sehr wichtig und kann durchaus Spaß machen.

 Mehr Frauen in die Politik!

Ich halte es für ungemein wichtig, dass wir Frauen ermutigen und fördern, in die Politik einzusteigen. Denn wir brauchen Volksvertreterinnen und wir brauchen weibliche Solidarität, damit weibliche Vorbilder andere mit- und nachziehen. Frauen neigen leider immer noch dazu, sich ein Amt, eine Beförderung, eine Leitungsfunktion erst dann zuzutrauen, wenn sie sich 100%ig sicher sind, dass sie es können und darin gut sind. Männer stellen sich die Frage häufig gar nicht, ob sie auch wirklich geeignet sind – sie gehen selbstverständlich davon aus.

Gerade junge Frauen engagieren sich häufig im vorpolitischen Raum, bei Initiativen, in Vereinen und Verbänden und bringen dadurch viele Kompetenzen mit, die für die politische Arbeit wichtig sind, scheuen sich aber, in die echte Politik einzusteigen. Ein Argument, dass wir immer wieder hören, ist die Angst, sich verbiegen zu müssen und die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren oder sich einem Fraktionszwang beugen zu müssen. Hier hilft eine bessere Vermittlung und das verständlich Machen der Prozesse politischer Willensbildung – dass innerhalb der Parteien und in den Fraktionen sehr wohl diskutiert wird und viele verschiedene Meinungen existieren, um dann mehrheitlich belastbare Positionen zu finden.

Ein weiterer möglicher Weg, um Frauen den Einstieg zu erleichtern, sind Mentorinnenprogramme – erfahrene Politikerinnen nehmen junge Frauen für eine begrenzte Zeit mit, damit diese den politischen Alltag kennenlernen und klarer entscheiden können, ob ihnen Politik dauerhaft liegt oder vielleicht auch nicht. Derzeit ist es immer noch viel zu häufig so, dass Frauen beim Einstieg in die Politik ins kalte Wasser geworfen werden – meist stellen sie dann zwar fest, dass sie sehr gut schwimmen können, aber die Hemmschwelle den ersten Schritt zu tun ist dann doch recht hoch.

Und es wird nicht ohne die Männer gehen. Frauen haben die Wahl – aber immer wieder müssen wir uns die Frage stellen, wo die Männer in dem System gefordert sind und wie wir sie einbeziehen können. Weil halbe-halbe heißt ja auch immer, dass wir eine breite Diskussion brauchen. Und für die Durchsetzung der Gleichstellung ist es wichtig, nicht nur unter uns zu diskutieren, sondern auch die Männer mitzunehmen und sie dadurch zu überzeugten Botschaftern der Gleichstellung zu machen.

 Politik und Ethik – widerspricht sich das?

 Wenn es um die Wahlmöglichkeiten von Frauen in der Politik und im kirchlichen Umfeld geht, stellt sich auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Politik und Ethik bzw. Religion. Meiner Ansicht nach bedingen sie sich zwangsläufig. Wenn wir ethische Fragen behandeln, ist die Frage der Gerechtigkeit eine der größten, die es zu beantworten gilt.

 

Das betrifft auch die globale soziale und ökonomische Entwicklung und die Frage, wie wir mit unserem Wirtschafts- und Finanzsystem zukünftig umgehen wollen. Das Kapital ist im Lichte des Evangeliums keineswegs per se schlecht, aber es hat den Menschen zu dienen und nicht die Menschen zu beherrschen. Heute ist es leider oftmals umgekehrt, und wir beziehen unseren Wohlstand häufig auf Kosten weniger entwickelter Länder. Hier haben wir gerade in der Entwicklungspolitik eine Verantwortung noch nicht genügend wahrgenommen wird. Und das betrifft auch und immer wieder die Frage der Gleichstellung.

 

Die Frau hat nämlich noch längst nicht überall die Wahl! Die Würde des Menschen ist unantastbar, aber in einigen Ländern muss der Mensch auch heute noch das richtige Geschlecht haben, er darf keine Frau sein, sonst ist er von vornherein rechtlich wie wirtschaftlich ein Mensch zweiter Klasse. Das ist die auf der Erde wohl am weitesten verbreitete negative Kategorisierung des Menschen. Über die Hälfte der Menschheit sind Frauen. Aber es gibt niemanden, der mehr diskriminiert, entrechtet, geschändet, versklavt wird als Frauen. In Europa war das bis vor hundert Jahren im Prinzip fast genauso. Achtzig Prozent der einen Milliarde Analphabeten auf der Erde sind Frauen. Aber nicht, weil sie dümmer wären als die Männer, sondern weil sie von den von Männern errichteten staatlichen Strukturen, vor allem Bildungseinrichtungen, systematisch ferngehalten werden.

 

Unterm Strich: Politik ohne Ethik geht nicht, auch wenn manche Politiker mitunter nicht nach ethischen Grundsätzen handeln was allerdings auch in allen anderen Professionen der Fall ist. Deshalb lautet auch die Antwort auf die oft gestellte Frage, ob Politiker und Politikerinnen häufig lügen: Nein, nicht mehr als andere Menschen. Demokratie erfordert aber oftmals einfach, von eigenen Positionen abzurücken, denn Konsens ist das Haar in der Suppe, die gelöffelt werden muss, um der Mehrheit zu dienen.

 

 

 

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