Veranstaltung des OV Nordstadt-Johannis am 14.4.2022 mit einem Vortrag von Architekt Jürgen Lehmeier zum Projekt „Gartenhaus“
Mehr Grün in der Stadt ist ein heißes Thema, denn wenn der Klimawandel nicht wesentlich gebremst werden kann, erwarten uns in Nürnberg in den kommenden Jahrzehnten Temperatursteigerungen von in Spitzenzeiten über 5 Grad in Sommer. Mit der Ausweitung und Schaffung von Grünflächen sowie der Begrünung von Häusern kann dem entgegengewirkt werden. Genau das hat der Architekt und Aktivist Jürgen Lehmeier mit seinem „Gartenhaus“ in St. Johannis gemacht und ist damit sogar zur Architekturbiennale 2021 nach Venedig eingeladen worden. Über die Entstehung seines Dachgarten hat er bei der Veranstaltung „Begrünung in der Stadt“ am 14. April 2022 dem Grünen Ortsverband Nordstadt- Johannis berichtet und aufgezeigt, welche Erfolge beispielsweise Paris bereits mit Landwirtschaft auf den Dächern der Stadt verzeichnen kann. In Bayern herrscht hier noch viel Optimierungsbedarf, der leider nicht in der kürzlich erlassene Novelle der Bayerischen Bauordnung berücksichtigt wird. Mehr Grün in der Stadt würde mit weniger bürokratischem Aufwand und mehr kreativen Lösungen erreicht werden, wenn die Kommunen dementsprechende Rechtsgrundlagen erlassen könnten. Vielen Dank an Jürgen Lehmeier und den OV Nordstadt-Johanis für den tollen Abend, der Mut gemacht hat – es geht, wenn man nur will!
Bei der Veranstaltung hat Verena Osgyan ein Grußwort gehalten, welche die Situation in Nürnberg und Bayern sowie die politischen Forderungen den Grünen Landtagsfraktion thematisiert (es gilt das gesprochene Wort):
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
sehr geehrter Herr Lehmeier, lieber Jürgen,
Ich freue mich sehr, als Betreuungsabgeordnete in Nürnberg-Nord Sie und euch heute am „Gründonnerstag“ begrüßen zu dürfen und bedanke mich bei den Mitgliedern des Grünen Ortverbands Nordstadt-Johannis, besonders bei Isa Romstoeck, Rainer Zohsel und Christina Maier-Hofer, die diese Veranstaltung organisiert haben! Besonders freue ich mich natürlich auf die Vorstellung des extrem spannenden Dachbegrünungs-Projekts „Gartenhaus“ von unserem hiesigen Architekten Jürgen Lehmeier, der auch international auf sich aufmerksam gemacht hat, dazu gleich später mehr.
„Begrünung in der Stadt“ ist der Titel des heutigen Abends und das ist auch politisch buchstäblich ein „heißes“ Thema. Der Anteil von Grün in der Stadt entscheidet in den kommenden Jahrzenten über das Ausmaß der Erhitzung in der Stadt und damit über unsere Lebensqualität. Dass Nürnberg hier immer noch erhebliche Defizite aufweist, kann nicht oft genug thematisiert werden. Nürnberg lag in einem Städtevergleich bezüglich der Grünflächen, das 2016 von der Berliner Morgenpost erstellt wurde[1], auf Platz 76 – nicht etwa von 100, sondern von 79 möglichen Rankingplätzen.
Das ist übel und beschämend für die zweitgrößte Stadt Bayerns. Aber nicht nur die Statistik, sondern auch die Rückmeldungen der Bürgerinnen und Bürgern, die bei uns ankommen, sagen eindeutig, der Wunsch nach mehr Grün in der Stadt und einer besseren Pflege der vorhandenen Stadtbäume stehen bei vielen Menschen, gerade hier in der Nordstadt, ganz oben auf der politischen Wunschliste. Das merken wir seit Jahren auf jedem Infostand, und ich denke, es ist hier in den nächsten Jahren für uns weiterhin insbesondere unsere Aufgabe als Grüne, hier nicht locker zu lassen und massiv einzufordern, dass insbesondere OB König seinen vollmundigen Ankündigungen aus dem Wahlkampfauch Taten folgen lässt. Bisher ist da die Bilanz durchaus eher durchwachsen. Dazu werden meine Stadtratskolleginnen Natalie Keller und Cengiz Sahin anschliessend bestimmt noch mehr sagen.
Die Idealvorstellung von Orten in der Stadt, an denen Menschen gern zusammenkommen, sind Plätze wie in Italien oder Südfrankreich, wo sich die Nachbarschaft zu einem Schwätzchen im Schatten alter Bäume trifft. Die Presse sagt dazu „Nürnberg kann keine Plätze“ – das stimmt so nicht, dennoch tat sich die Stadtplanung mit der Schaffung vergleichbarer Orte bisher eher schwer und das liegt sicher nicht am eigentlich sehr geselligen, fränkischen Gemüt. Wenn sich in Nürnberg die Chance bietet, einen attraktiven Treffpunkt in der Innenstadt oder in einem Wohnviertel zu schaffen, wird diese leider meist verpasst. Wir sind nun sehr gespannt, inwiefern neue Planungen wie am Obstmarkt oder auch der neue Hesperidengarten hier Vorbildcharakter annehmen werden können.
Leider war das bis in ganz jüngste Zeit nicht selbstverständlich, und auch der Freistaat Bayern hat sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Ich möchte hier nur zwei Beispiele Nürnberger Architektur bzw. Stadtplanung unter Federführung des Freistaats nennen, die in meinen Augen komplett das Klassenziel verfehlt haben:
Am Augustinerhof hat die Zweigstelle des Deutschen Museums seit Herbst 2021 ihren Standort. Aber während die Ausstellung visionäre Ausblicke in die Zukunft wagt, ist der Ausblick aus dem Fenster des Museumsbaus umso frustrierender. Inmitten einer Steinwüste dümpeln dort ein paar bemitleidenswerte Kübelpflanzen vor sich hin, die Fassaden strotzen vor Beton und Glas – von Fassadenbegrünung oder Solaranlagen auf dem Dach keine Spur. Davon abgesehen ist das Gebäude nach einem völlig veralteten Energieeffizienzstatus errichtet – KfW 70 war zur Zeit der Planung 2016 schon völlig überholt. Man muss sich das mal geben: Der Freistaat Bayern zahlt über eine Laufzeit von 25 Jahren 100 Millionen Euro Investitions- und Mietkosten für ein Zukunftsmuseum, dessen Energiebilanz mit KfW 70 nur den Mindeststandard für Neubauten erfüllt. Als Bauherr legt er allerdings selbst höhere Maßstäbe an: Seit 2011 gilt für staatliche Verwaltungsgebäude die Vorgabe, dass diese auf der Grundlage des Passivhausstandards errichtet werden müssen. Für mich hätte der Ausblick in eine klimafreundlichere Zukunft auch gern beim Museum selbst können, aber das sah das Geschäftsmodell des Vermieters Gerd Schmelzer wohl schlicht nicht vor.
Ebenso der Neubau des Zentrums für Familie und Soziales in der Bärenschanzstrasse. Ich stellte im Juli 2021 eine Anfrage an die Staatsregierung, warum auf dem Vorplatz lediglich drei winzige Bäume gepflanzt wurden, inmitten einer riesigen kahlen Pflasterwüste.
Die Antwort erläuterte, dass bei den Anforderungen die Barrierefreiheit im Vordergrund stand. Das ist ja durchaus nachvollziehbar, aber ich denke nicht, dass ein paar weitere Bäume den Eingang für Menschen mit Behinderung komplett unzugänglich gemacht hätte. Darüber hinaus wurde angekündigt, dass im Innenbereich des noch im Bau befindlichen Gebäudeblocks eine „weitgehend unversiegelte parkartige Ruhezone“ angelegt werden soll. Ich werde weiter beobachten, was der Begriff „weitgehend unversiegelt“ in der Umsetzung tatsächlich bedeutet.
Egal ob von Seiten der Stadt oder des Freistaats: Es scheint den Planerinnen und Planern solcher Bauten und Plätze immer noch nicht klar zu sein, dass es hier buchstäblich um das „Überleben“ der Stadtbevölkerung geht, obwohl die Erkenntnisse dazu längst vorliegen.
Bereits 2014 wurde unter der Ägide des Umweltreferats unter Leitung von Peter Pluschke ein Stadtklimagutachten in Auftrag gegeben, das klar ergeben hat, dass 46 Prozent der Siedlungsfläche relativ ungünstige bioklimatische Bedingungen aufweisen. Speziell der Altstadt wird bei zunehmender Erwärmung buchstäblich die Luft ausgehen, und gerade die eng bebauten Stadtteile mit ärmerer Bevölkerung, vielen Kindern und alten Menschen, werden von der zunehmenden Stadterhitzung überproportional betroffen sein.
Klimaanpassung vor Ort ist also auch eine soziale Frage,
und wenn man bedenkt, dass ein ausgewachsener Baum das Mikroklima in seiner Umgebung bis zu acht Grad senken kann, ist klar welchen Stellenwert Begrünung eigentlich haben sollte.
Laut einer aktuellen Studie des Bayerischen Landesamts für Umwelt trifft Franken der Klimawandel insgesamt noch härter als andere Regionen Bayerns. Wenn der Klimawandel nicht aufgehalten wird, könnte hier bis zum Jahr 2100 die Sommertemperatur in der Spitze sogar bis zu 5,6 Grad steigen.[2] Bei 5,6 Grad Erwärmung werden die heimischen Baumarten nicht mehr gedeihen, Landwirtschaft wie wir sie kennen ist nicht mehr möglich. Das bayerische Umweltministerium prognostiziert in seinem Klimareport 2021, eine Zunahme der Hitzetage und der Tropennächte in den kommenden 20 Jahren. Länger anhaltende Hitzeperioden mit Temperaturen über 30 °C und Nächten über 20 °C können vor allem bei älteren Menschen und Kindern zu erheblichen gesundheitlichen Belastungen wie zum Beispiel Herz-Kreislaufbeschwerden führen.[3] Es geht hier tatsächlich um jedes 10tel Grad, aber die Vorschriften und Gesetze der Landesregierung lassen beim Bau noch zu viel Spielraum für Beton – die politischen Signale sind hier nämlich komplett widersprüchlich!
Im Januar 2021 stellte Umweltminister Thorsten Glauber seinen „Schwammstadt-Leitfaden für Kommunen und Planer“ vor. Er sagte dazu: “Wir brauchen einen ganzen Instrumentenkasten von natürlichen Klimaanlagen, blauen Adern, Regenwasserspeichern und Grünflächen. Unser Ziel ist ein sicheres und lebenswertes Wohnen ohne Hitzestress. Das Gebot der Stunde heißt: Flächensparend bauen und dabei in Siedlungsbereichen Sicherheit, Lebensqualität und Artenvielfalt gewährleisten”. [4] Das Wasser den Städten soll nach Wunsch des Umweltministers dafür mit verschiedenen Methoden wie in einem Schwamm gespeichert werden, Flächenversiegelungen müssen vermieden werden. Ich sage nur: siehe meine Beispiele oben!
Konzepte wie die der Schwammstadt sind natürlich durchaus begrüßenswert – werden aber leider in der Praxis nicht konsequent durchgeführt. Und leider geriert sich die Staatsregierung mit solchen Konzepten zwar verbal als Vorreiter, lehnt es im Gegenzug aber komplett ab, dafür auch einen guten ordnungspolitischen Rahmen zu setzen. Die aktuelle Novelle der Bayerischen Bauordnung, die seit Februar dieses Jahres in Kraft ist, hätte eine Chance sein können, der Klimaerwärmung zukünftig mit vorausschauendem Bauen entgegenzuwirken. Auch die Kommunen brauchen mehr rechtliche Möglichkeiten, Grünflächen und Gebäudebegrünung zu fordern.
Leider wurde diese Chance nicht ergriffen – das Gegenteil ist der Fall:
Qualifizierte Freiflächengestaltungspläne, Gebäudebegrünung und Maßnahmen zur Klimaanpassung werden nicht gefördert.
Stattdessen soll nun mittels einer sogenannten „Genehmigungsfiktion“ noch schneller und im Zweifelsfall ungeprüft gebaut werden können.
Ich befürchte, diese Möglichkeit des „Schnell, schnell Häusle bauen“ wird die städtebauliche Qualität eben nicht verbessern.
Aus Sicht der grünen Landtagsfraktion ist hier dringend eine Nachjustierung nötig. Neben einer flächensparenden baulichen Verdichtung ist der Blick zugleich auch auf die Erhaltung, Weiterentwicklung und Qualifizierung des urbanen Grüns zu richten. Diese Qualität wollen wir Grüne mit qualifizierten Freiflächengestaltungsplänen, Gebäudebegrünung und baulichen Maßnahmen zur Klimaanpassung gewährleisten. Deshalb haben wir in einem Antrag gefordert, dass die Gemeinden dazu eigene örtliche Bauvorschriften erlassen können.
Dem Thema „Stadtgrün“ werden wir uns als Fraktion am 4. Mai 2022 von 15.00 bis 20.00 Uhr auch mit einer Fachtagung im Bayerischen Landtag zuwenden, zu dem Ihr und Sie ganz herzlich eingeladen seid – eine Zuschaltung ist auch digital möglich. Weitere Infos und das Programm haben wir hier ausgedruckt.
Es ist also noch einiges zu tun und deshalb ist es gut, dass es Menschen wie den Architekten und Aktivisten Jürgen Lehmeier gibt, den ich sehr schätze, und der immer wieder visionäre Projekte konzipiert, aber eben – wie mit dem Gartenhaus – auch umsetzt. Wie ich finde, der größtmögliche Kontrast zu so mutlosen und rückwärtsgewandten Beispielen wie denen von denen ich gerade gesprochen hatte.
Wir sind uns in den letzten Jahren immer wieder über den Weg gelaufen.
Im Juli 2019 saßen wir beispielsweise im Rahmen des „Kulturhaupstädtlas“ zusammen auf dem Podium und diskutierten zum Thema „Urbane Landwirtschaft“.
Ein äußerst spannendes Thema, wenn man bedenkt, dass gerade der Gemüseanbau hier vor Ort bereits häufig in halbautomatisierten Treibhäusern stattfindet – könnte so etwas nicht auch innerorts, mit Abwärme und geschlossenen Kreisläufen stattfinden?
Dazu hatte er im Rahmen des Open Calls der Kulturhaupstadtbewerbung als Projekt die ungewöhnliche Idee eines “Öffentliche Pflanzen-Nahverzehrs” eingebracht und ist damit Publikumssieger geworden. Es sah vor, auf dem Luftschacht einer U-Bahn-Station ein Gewächshaus zu errichten. In diesem könnten die Nachbarn aus dem betreffenden Stadtteil mit der Abwärme Kräuter oder Pilze züchten.
Auch beim Parking Day habe ich ihn kurz danach wiedergetroffen, wo er Pflanzen an Passanten verschenkte. Aufgrund von Corona waren danach lange Zeit wenig Gelegenheiten, sich wieder zu begegnen.
Besonders gefreut hat es mich aber als ich völlig unversehens auf der Architekturbiennale 2021 in Venedig wieder auf eines seiner Werke gestoßen bin. In der Ausstellung „TIME SPACE EXISTENCE“ im European Center of Arts and Culture war er mit seinem „büro für bauform“ mit dem Gartenhaus-Projekt vertreten und zeigte zudem an einem Modell des Stadtgebiets von Nürnberg, was in Sachen Stadtbegrünung in den nächsten Jahrzehnten alles möglich ist, wenn man nur will!
Ich freue mich sehr, dass wir heute von ihm mehr über das Gartenhaus in Johannis und über weitere kreative und buchstäblich „überlebenswichtige“ Konzepte für mehr Grün in der Stadt erfahren und bin sehr gespannt auf seinen Vortrag. Zunächst wird aber meine liebe Stadtratskollegin Natalie Keller mit ihrem Grußwort fortfahren.
Vielen Dank!
[1] https://www.nordbayern.de/region/nuernberg/grossstadte-im-vergleich-so-wenig-grun-ist-nurnberg-1.5190596
[2] https://www.nordbayern.de/region/exklusive-daten-franken-trifft-der-klimawandel-besonders-hart-1.11267186
[3]https://www.bestellen.bayern.de/application/eshop_app000001?SID=1533283817&ACTIONxSESSxSHOWPIC(BILDxKEY:%27stmuv_klima_012%27,BILDxCLASS:%27Artikel%27,BILDxTYPE:%27PDF%27)
[4] https://www.bayern.de/glauber-wasser-gegen-den-klimawandel-neuer-schwammstadt-leitfaden-fuer-kommunen-und-planer-vorgestellt/