„Nein heißt Nein – Lücken im Sexualstrafrecht schließen“

PODIUMSDISKUSSION

Das entscheidende Wort
„Missbrauch passiert jeden Tag“, sagt die Kriminalhauptkommissarin Dagmar Bethke. Bei einer Diskussion über eine Verschärfung des Sexualstrafrechts wird klar: Ein paar Paragrafen zu ändern, wird die Probleme nicht lösen von Claudia Graf (Immenstadt/Oberallgäu)

Eine Frau, die sich nach langer Zeit zu einer Anzeige gegen den Vater ihrer Kinder durchringt – und diesen Schritt wenige Stunden später rückgängig macht. Ein Vater, der für Gewalt an seinen Kindern bestraft wird – und als Kind selbst Opfer von Gewalt war. Eine Frau, die sich schämt, „Nein“ zu einem Mann zu sagen – sodass der nicht wissen kann, dass sie das, was er macht, nicht will.
Diese Fälle aus dem Oberallgäu veranschaulichen den Arbeitsalltag von Dagmar Bethke, Kriminalhauptkommissarin und Frauenbeauftragte im Polizeipräsidium Schwaben Süd/West, und Petra von Sigriz, Sonderpädagogin beim Frauennotruf Kempten. Es sind Beispiele, die bei der Podiumsdiskussion „Nein heißt Nein“ verdeutlichten, dass es in der aktuellen Debatte um die Verschärfung des deutschen Sexualstrafrechts um mehr geht als das „Neusortieren von Gesetzesbuchstaben“, wie es Bethke nannte.
Um über die Lücken des deutschen Sexualstrafrechts zu sprechen, hatte der Kreisverband Bündnis 90/Die Grünen in den Gasthof Krone nach Immenstadt-Stein eingeladen. „Nein heißt Nein muss auch im Strafrecht gelten“, sagte Verena Osgyan, Landtagsabgeordnete der Grünen und frauenpolitische Sprecherin, die einen entsprechenden Antrag im Landtag gestellt hat. „Es darf nicht darauf ankommen, ob das Opfer sich auch körperlich gewehrt hat“, sagte sie bei der Podiumsdiskussion.
Doch es gab weitere Faktoren, die für Referenten wie Zuhörer eine Rolle spielen: Von der subjektiven Wahrnehmung der Beteiligten, dem möglicherweise missverständlichen Verhalten eines Opfers aufgrund langjähriger Traumatisierung, hin zu der Tatsache, dass auch ein „Nein“ eigentlich kein sichtbarer Beweis ist. „Nur wenn ein Tatbestand gegeben ist“, erklärte Bethke, „darf verhandelt werden.“ Während es bei öffentlicher Gewalt meist einen Tatort gebe, sei das bei Beziehungstaten schwieriger. „Ein komplexes Thema“, räumte von Sigriz ein.
Es sind unter anderem Opfer von Misshandlungen, Stalking, sexueller, körperlicher und seelischer Gewalt, die von Sigriz anonym und Bethke als Beauftragte der Polizei beraten. „Zu wissen, dass ein ,Nein’ ausreicht, würde diese Menschen stärken“, sagte von Sigriz. Ob sich daraufhin mehr Menschen trauten, nicht lediglich am Telefon, sondern auch vor Polizisten und später einem Richter über das Erlebte zu sprechen, weiß sie nicht. „Doch eine Gesetzesänderung wäre ein Signal an Betroffene und Täter.“
Statt lediglich das Strafgesetz umzukrempeln, hält Bethke Prävention für entscheidend: „Kommt ein Täter ins Gefängnis, wird das Problem nur verschoben“, sagte die Polizeibeamtin. Neben der Arbeit mit Tätern müssten laut von Sigriz Mädchen und Jungen sehr früh gestärkt werden: Neben dem Wissen darüber, dass das „Nein“ eines Kindes berechtigt ist, sollten beispielsweise junge Männer verstehen lernen, was das „Nein“ einer Frau bedeutet.

Quelle:  Allgäuer Anzeigeblatt, 18.04.2016, Seite 29
https://www.allgaeuer-anzeigeblatt.de/index.shtml?allgaeuer-anzeigeblatt&press=0000018685

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