Weltfrauentag 2017: „Wir müssen reden!“

Soireé zum Weltfrauentag 2017

„Wir müssen reden!“ Das war unser Aufruf, dem 150 Gäste am 6. März 2017 zur Veranstaltung „Frauen.Macht.Politik“ in den Bayerischen Landtag gefolgt sind.

Frauen machen über die Hälfte der Bevölkerung aus, der Frauenanteil in Bayerns Kommunalparlamenten liegt trotzdem bei nicht einmal einem Drittel. Bürgermeisterinnen gibt es im einstelligen Prozentbereich, bayerische Landrätinnen kann man an einer Hand abzählen. Aber auch in der „großen Politik“ ist es nicht viel besser: Im Bayerischen Landtag sind weniger als eine von drei Abgeordneten weiblich.
Mit Donald Trump wurde ein übler Sexist zum 45. US-Präsidenten gewählt. Wenn man bedenkt, dass auch bei uns weibliche Politikerinnen oft noch mehr über ihre Kleidung als über ihre Inhalte definiert werden, und wenn man sich das Frauenverständnis europäischer Rechtspopulisten ansieht, sind auch wir nicht vor einem Backlash in die 1950er-Jahre gefeit. Genügend Gesprächsstoff also. Darüber, wie gleichberechtigt unsere Demokratie wirklich ist, über Sexismen in der Politik und den langen Weg zur Parité.

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In ihrer Eröffnungsrede freute sich die frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Verena Osgyan, über die zahlreiche Teilnahme an der Veranstaltung. „Ich bin begeistert, welch lebhaftes und schönes Bild uns der Plenarsaal heute Abend bietet. So viele kluge Männer und vor allem so viele kluge Frauen sieht man hier selten.“, stellte sie fest. Denn aktuell sei der Frauenanteil im Bayerischen Landtag nach wir vor nur bei 29,7%. Das sei zwar besser als 1986, als die erste Grüne Fraktion in den Landtag eingezogen sei. „Meine Kolleginnen und Kollegen haben damals die Frauenquote im Parlament schlagartig verdoppelt – von damals mageren 7,8% auf immerhin 13,2%.“, stellte Verena Osgyan fest. Die Präsenz der unkonventionellen Grünen Frauen im Landtag sei damals ein Kulturschock für viele gewesen. Plötzlich seien Themen wie „sexualisierte Gewalt an Frauen“ im Plenum angesprochen worden, die vorher vermieden worden seien und die Reaktionen seien entsprechend harsch und teilweise offen chauvinistisch gewesen. Seitdem habe sich die politische Kultur glücklicherweise deutlich verbessert.

Dennoch könne von echter Gleichberechtigung in der Politik keine Rede sein. Die Unterrepräsentanz von Frauen habe ganz konkrete Auswirkungen auf die Entscheidungsfindung zu Themen, die überwiegend Frauen betreffen. So werde Gewalt gegen Frauen nach wie vor als Randphänomen behandelt, anstatt wirksame Präventionsmaßnahmen zu etablieren und zu finanzieren. Im Berufsleben hätten Frauen dauerhaft schlechtere Aufstiegschancen, übernähmen aber den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit. Es fehle nach wie vor an wirksamen Quotenregelungen für Aufsichtsräte und Vorstände und wirksame Gleichstellungsgesetze für den Öffentlichen Dienst, Hochschulen und Gerichte sowie die Privatwirtschaft. Der „Gender Pay Gap“ betrage in Bayern immer noch 24% und im Alter summiere sich der Renten- und Pensionsabstand zwischen den Geschlechtern sogar auf 60%.Es sei wichtig, die weibliche Perspektive in den Parlamenten einzubringen, denn es gehe um echte Repräsentanz der Bevölkerung, von der nun einmal 51% in Bayern weiblich seien. „Es ist kurzsichtig, die Gleichstellung von Frauen lediglich als eine sozialpolitische Aufgabe zu sehen – sie ist mindestens genauso eine Grundvorrausetzung unserer Demokratie!“, so Verena Osgyan.

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In ihrer Keynote Rede legte Laura Himmelreich, Chefredakteurin des Magazins VICE, den Fokus auf Sexismus in der Politik. Die ehemalige Stern-Redakteurin hatte mit ihrer Reportage „Der Herrenwitz“, ein Porträt über den FDP-Politiker Rainer Brüderle, eine bundesweite Debatte über Sexismus und sexuelle Belästigung von Frauen ausgelöst. Kurz darauf entbrannte eine Debatte auf Twitter unter dem Hashtag #aufschrei. Nach dieser Debatte 2013 sei einiges passiert, konstatierte Laura Himmelreich. Eine Umfrage zum Thema ergab, dass vor allem jüngere Menschen ihr Verständnis von den Geschlechterrollen hinterfragt hätten. Hingegen sei das nur bei 17% der über 55-Jährigen der Fall gewesen. Die meisten älteren Menschen blieben also bei ihrem konservativen Rollenverständnis. Weiter zitierte Laura Himmelreich in ihrer Rede Aussagen von Spitzenpolitikerinnen verschiedener Parteien, die sich über Sexismus beklagten. Beispielsweise sei es nicht unüblich, dass in Sitzungen die Wortmeldungen von Frauen ohne Reaktion blieben, sobald aber ein Mann wenige Minuten später eine Aussage desselben Inhalts treffe, werde dies von Kopfnicken begleitet und lautstark unterstützt. „Sexismus in der Politik wird es so lange geben, wie es Sexismus in unserer Gesellschaft gibt.“, so Laura Himmelreich.
Oft werde sie gefragt, wie denn ihre Einstellung zum Thema mit ihrer Arbeit beim freizügigen Jugendmagazin VICE zusammenpasse. Diesen Leuten antworte sie dann immer: „Es gibt Sexismus und es gibt Sex. Das ist nicht dasselbe.“
2016 sei erneut eine Debatte über Sexismus in der Politik entbrannt. Diesmal sei es aber nicht mehr um die Frage, ob es Sexismus in der Politik gebe, gegangen. Vielmehr wurde im Konsens festgestellt, dass es Sexismus in der Politik gebe und darüber debattiert, wie darauf zu reagieren sei. Das sei ein deutlicher Wandel im Vergleich zu früher. Des Weiteren unterstrich sie, dass Diskussionen über Sexismus hoch emotional geführt würden, weil sie intime Fragen beträfen, die Unsicherheiten hervorriefen. Deshalb sei es so schwierig, über Sexismus zu diskutieren. Drei Stellschrauben seien aber wichtig, um darüber zu diskutieren: Zum einen müsse man versuchen, das Selbstverständnis des Gegenübers zu verstehen und sich in seine oder ihre Lage zu versetzen. Zum zweiten müsse man verstehen, wie komplex und vielschichtig das Thema Sexismus sei. Zum dritten sollten wir versuchen, ein anderes Verständnis von Feminismus in Deutschland zu erreichen. Feminismus bedeute nämlich einfach gleiche Chancen für Männer und Frauen. Laura Himmelreich brach dieses Verständnis von Feminismus auf den knackigen Satz herunter: „Entweder man ist Feminist oder man ist ein Idiot.“
Insgesamt wünsche sie sich mehr Verständnis für die unterschiedlichen Erfahrungen von Frauen mit Sexismus, die Anerkennung, dass das Problem komplex und vielschichtig sei sowie mehr Leichtigkeit in der Debatte.

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In der anschließenden Podiumsdiskussion fragte die Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen und Moderatorin der Diskussion, Katharina Schulze, wie eigentlich der Femonationalismus, also die Vertretung von Frauen in ultrarechten Parteien, zu erklären sei. Prof. Dr. Heike Paul von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg konstatierte, dass diese Frauen Emanzipationsgewinnerinnen seien. Es habe aber eine Form von Entsolidarisierung mit dem feministischen Grundkonsens stattgefunden. Interessanterweise höre man den Begriff des Postfeminismus kaum mehr. „Es scheint wieder um den Feminismus und den Kampf darum zu gehen bzw. auf der Gegenseite um den Versuch der Abkehr vom Feminismus.“, sagte sie in Bezug auf die aktuellen Entwicklungen. Vor allem weiße Frauen hätten Trump gewählt. Man spreche hier von einer klassenspezifischen Solidarisierung im Wahlkampf. „Wir müssen uns als weiße Frauen fragen, inwieweit wir Teil des Problems oder Teil der Lösung sind.“, so Professor Paul. Viele weiße Wählerinnen in den USA hätten ein Männlichkeitsbild, das gerade dem von Donald Trump entspreche. So würde ein Mann wie er mit seiner offen chauvinistischen, egozentrischen und aggressiven Art als überzeugend und stark wahrgenommen. „Dann wird Trump von ihnen paradoxerweise in Schutz genommen mit Begründungen wie „der ist doch gar nicht so schlimm, der erinnert mich an meinen Ex-Mann.“, so Professorin Paul.
Katharina Schulze leitete dann in den Komplex „Frauen und Macht“ über und bat Prof. Dr. Silke Laskowski, Staatsrechtlerin an der Universität Kassel, um ihre Einschätzung zur Popularklage für ein Paritätsgesetz in Bayern. Über die Parlamente erfolge die Repräsentanz der Bürgerinnen und Bürger, also die Selbstbestimmung des Volkes, so Professorin Laskowski. „Männer und Frauen setzen unterschiedliche Prioritäten und bringen unterschiedliche Themen in die Diskussion ein. Wenn Frauen aber nicht da sind, um ihre Positionen zu vertreten, dann fehlen diese Themen in der politischen Entscheidungsfindung.“ Solange sich die Interessen 50:50 im Parlament begegneten, sei es egal, wie die Entscheidungen dann ausfielen. Wichtig sei, dass beide Positionen in den Diskurs eingebracht würden und sich in der Entscheidung wiederfänden. In Bayern gebe es die zweitschlechteste Relation zwischen Männer und Frauen in Parlamenten. Deshalb herrsche hier eine Dominanz von männlichen Interessen. Durch das bestehende Wahlrecht könnten nicht genügend Frauen in den Landtag einziehen und deshalb hätten sie auch keine Stimme für ihre Belange. Frauen stehe die effektive Einflussnahme in die Politik laut Verfassung aber zu. Aus diesem Grund sei die Popularklage des Aktionsbündnisses „Parité in den Parlamenten“ gerechtfertigt und verwies auf das französische Paritätsgesetz, das sehr erfolgreich sei. Auch die Wahlbeteiligung sei in Folge des Gesetzes in Frankreich gestiegen.
Margarete Bause, integrationspolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, stellte fest, dass das Verhältnis von Frauen und Macht immer noch gespalten und schwierig sei. Frauen, die Dinge gerne durchsetzten, bräuchten Macht, sonst würden sie nichts erreichen. „Diese Frauen gelten dann oft als aggressiv und kämpferisch, ja gar unweiblich und männerfeindlich.“, so Margarete Bause. Aber auch Frauen selbst hätten ein Problem, für sich Macht zu beanspruchen. Macht klinge für viele unangenehm, dabei gehe es ja nicht um Macht über etwas oder jemanden, sondern um Macht zu etwas. Frauen redeten aber lieber von Einfluss als von Macht. „Frauen müssen für sich selbst beanspruchen, mächtig zu sein.“, so ihr Plädoyer. Denn wir dürften uns nicht einreden lassen, dass sich in 30 Jahren nichts bewegt habe. Die Widerstände gegen mächtige Frauen rührten ja von den Errungenschaften her, die es durch die Frauenbewegung gegeben habe.
Lisa Badum, Kreisrätin und Helene-Weber-Preisträgerin, berichtete von ihren Erfahrungen als junge Frau in der Kommunalpolitik. Das Problem seien Denkblockaden, auch in der eigenen Partei. Viele könnten sich Frauen in politischen Führungspositionen nicht vorstellen und deshalb würden Frauen von Anfang an oft nicht für diese Positionen berücksichtigt. Um das zu ändern, müsse man noch mehr Frauen für die Kommunalpolitik gewinnen. „Wir Frauen müssen auch anderen Frauen Raum geben und wir müssen uns gegenseitig stärken.“, plädierte Lisa Badum. Auch das Agieren über Frauennetzwerke sei sehr wichtig, um weiterzukommen.

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In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde die Forderung laut, auch die Repräsentanz von „People of Color“ in den Parteien und somit in den politischen Entscheidungsprozessen zu erhöhen und sie zu fördern. In diesem Zusammenhang wurde nochmals der weiße Mittelschichtsfeminismus thematisiert. Außerdem wurde das Thema der deutschen Sprache als Hindernis für die Gleichstellung angerissen. Professorin Laskowski stellte klar: „Es lohnt ein Blick in den Duden. Dort steht nämlich nicht nur das Wort Bürger, sondern auch das Wort Bürgerin“. Man müsse also eigentlich nur so sprechen, wie es der Duden vorsehe. Professor Paul stellte klar, dass es darum gehe, wie Sprache verwendet werde. Sprechakte seien Akte und deshalb müsse Sprache gewaltfrei und geschlechtergerecht verwendet werden. Zum aktuellen Gender-Diskurs plädierte sie dafür, dass eine breitere Öffentlichkeit in die Debatte um Gender Studies und Anti-Genderismus einbezogen werden müsse.

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In ihrer Schlussbemerkung versprach Verena Osgyan: „Wir bleiben dran.“ Der Feminismus müsse intersektional sein, also nicht nur die Rechte von Frauen, sondern auch von Männern, Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*personen, Intersexuellen, queeren Personen, Menschen mit Behinderung, Migrantinnen und Migranten und Menschen eines bestimmten Glaubens in den Blick nehmen. Jetzt sei es an der Zeit, alle Kräfte zu bündeln und solidarisch für die Unteilbarkeit der Menschenrechte aufzustehen. Vor allem solle man sich nicht mit dem Machbaren begnügen, sondern ruhig das vermeintlich Utopische fordern, wie z.B. Quoten für Parlamente.
Zum Abschluss trug die Autorin Svenja Gräfen zwei beeindruckende Texte zum Thema Feminismus und Diskriminierung vor. Ihre humorvollen wie ernsthaften, sehr zum Nachdenken anregenden Worte werden wohl allen Gästen noch lange im Gedächtnis bleiben. Der Abend klang bei einem geselligen Empfang im Steinernen Saal des Landtags aus.

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