Am 17. Mai nahm Verena Osgyan an einem Podum zum Thema „Digitale Bildung 2020“ beim Münchner Netzwerk „Medienkompetenz Interaktiv“ teil. Denn Zugang zum Internet zu haben und dieses zu nutzen, heißt noch lange nicht damit auch selbstbestimmt umgehen zu können. Der Umgang mit digitalen Medien ist eine Kulturtechnik, die erlernt werden muss wie Lesen, Schreiben oder Rechnen. Ein Zusammenfassung der Grünben Positionen und Verena Osgyans Statement zur digitalen Bildung finden Sie hier:
Montessori 4.0 – Digitale Bildung als Chance für selbstbestimmtes Leben und Lernen nutzen
Wir sind mittendrin im digitalen Zeitalter, der digitale Wandel verändert unser tagtägliches Leben, unseren Alltag. Smartphones, Tablets, E-Books, Apps und Social Media haben unsere Gesellschaft und die Art wie wir kommunizieren, arbeiten und nicht zuletzt wie wir lernen bereits heute grundlegend gewandelt. Technische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz, Robotik, vernetzte Produktion, digitale Gesundheitsangebote und flächendeckende elektronische Überwachungsmöglichkeiten werfen weitreichende politische, rechtliche, ökologische, soziale und nicht zuletzt kulturelle Fragen auf, die noch längst nicht hinreichend beantwortet sind.
Uns Grünen es darum, dass wir die Entwicklungen nicht einfach so geschehen lassen. Wir wollen den Wandel aktiv politisch gestalten. Auch im Netz setzen wir auf unsere Werte: Freiheit, Selbstbestimmung, Teilhabe, Vielfalt und Nachhaltigkeit. Unser Leitbild ist nicht der konsumfreudige User, sondern der digitale Citoyen.
Wo möchten Sie die Vermittlung von Medienkompetenz konkret realisieren (in der schulischen, vor- & außerschulischen sowie Erwachsenen-Bildung)?
Zugang zum Internet zu haben und dieses zu nutzen, heißt noch lange nicht damit auch selbstbestimmt umgehen zu können. Der Umgang mit digitalen Medien ist eine Kulturtechnik, die erlernt werden muss wie Lesen, Schreiben oder Rechnen.
Die internationale Vergleichsstudie zur Computerkompetenz von Schülerinnen und Schülern in der 8. Klasse (ICIL) hat nicht nur festgestellt, dass deutsche SchülerInnen in der IT-Kompetenz nur im Mittelfeld liegen, sondern sie warnen auch vor einem Mythos, dass Kinder und Jugendliche durch das Aufwachsen in einer von neuen Technologien geprägten Welt automatisch zu kompetenten Nutzerinnen und Nutzern digitaler Medien werden.
Digitale Medien sind immer früher Teil der Lebensrealität unser Kinder. Einjährige die bereits Wischbewegungen auf Displays ausführen können sind keine Seltenheit. Im Berufsleben wird kaum noch jemand ohne Computerkenntnisse auskommen. Aber auch Seniorinnen und Senioren stehen vor der Herausforderung, ohne Kenntnisse und Zugang zum Internet von wesentlichen Kommunikationsmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein – uns sei es nur um per Messenger mit Ihrer Familie kommunizieren zu können.
Angesichts dieses rasant fortschreitenden Medienwandels gilt es den souveränen Umgang mit dieser erweiterten Kulturtechnik zu lernen und eine kompetente Nutzung zu vermitteln. Denn nur mit einer funktionierenden Medienkompetenz können die persönlichen und beruflichen Entwicklungsperspektive voll ausgeschöpft werden. Denn wie man sich Wissen beschafft, ob eine Information richtig oder falsch ist, wie Quellen zu bewerten sind, oder einfach wie wir über elektronische Medien der Situation angemessen mit anderen kommunizieren können, will erlernt werden.
Medienkompetenz muss quer durch alle Fächer an allen Schularten vermittelt werden. Und auch das Lernen muss sich verändern: Wir wünschen uns, dass Elemente des selbstbestimmten Lernens, wie sie durch digitale Medien möglich sind, in den Schulalltag und in die Lehrpläne integriert werden. Länder wie Dänemark, Finnland oder Estland machen dies bereits ganz selbstverständlich vor. Maria Montessoris berühmter Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“ beschreibt dabei perfekt, worauf es bei der digitalen Bildung ankommt. Ein antiquiertes Handyverbot an Schulen, wie es in Bayern auch für die Pausen gilt, ist hier eher Dokument der Hilflosigkeit des CSU-Bildungsministeriums statt zukunftsgerichteter Pädagogik.
Die technische Ausstattung der Schulen ist hier eine unabdingbare Grundlage, in die investiert werden muss. Doch Medienkompetenz kann nur dann souverän vermittelt und kultiviert werden, wenn sie auch ein selbstverständlicher Teil Ausbildung und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer sowie des erzieherischen Personals ist. Hier hakt es derzeit in Bayern am allermeisten, denn noch ist es eher Zufall, ob Kinder und Jugendliche an entsprechend vorgebildete Lehrerinnen und Lehrer geraten. Aber auch schon in Kindertagesstätten muss das pädagogische Personal einen kompetenten Umgang mit den im Alltag der Familien vorhandenen digitalen Medien einordnen sowie vermitteln können.
Angesichts der Tatsache, dass je nach Schätzungen bis zu 40% aller Jobs in Bayern direkt oder indirekt vom digitalen Wandel betroffen sind, müssen wir zusammen mit den Unternehmen, Kammern und Verbänden einen Masterplan für lebenslanges Lernen in der digitalen Welt entwickeln.
Wichtig ist dabei, wirklich alle Zielgruppen einzubeziehen: Nicht zuletzt brauchen auch Seniorinnen und Senioren angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen entsprechende Projekte, um mit den Geräten und den Möglichkeiten umgehen zu können. Und bei der Integration Geflüchteter in unsere Gesellschaft haben digitale Angebote und der Zugang zum Internet eine Schlüsselfunktion, um Spracherwerb zu fördern und Kenntnisse über unsere Werte und unser Zusammenleben zu vermitteln.
Welche infrastrukturellen Rahmenbedingungen sind für eine gelingende Medienbildung nötig und wie können diese finanziert werden?
Digitale Bildung braucht: schnellen Internetzugang, adäquate Ausstattungen von (Klassen)räumen mit digitalen Medien sowie deren flächendeckenden und nachhaltigen Support.
Der durch die CDU-Bundesbildungsministerin 2016 angekündigte DigitalPakt, der fünf Milliarden Euro für die technische Ausstattung an Schulen bereitstellen soll stellt schon einige grundrichtige Dinge in den Vordergrund. Noch ist allerdings weder das Geld im Haushalt bereitgestellt, noch ist der Freistaat Bayern als Träger der Schulen und die Kommunen als Sachaufwandsträger hinreichend darauf vorbereitet, diese Investitionen auch umsetzen und pflegen zu können.
Wir brauchen dazu an jeder Schule Systemfachadministratoren, damit sich nicht der Hausmeister oder die Mathelehrerin nebenbei um die Computerräume oder das digitale Klassenzimmer kümmern muss.
Gerade Bayern hinkt in der technischen Ausstattung in den Schuleinrichtungen ebenso wie beim Breitbandausbau hinterher. Um flächendeckend Glasfaser in alle Haushalte, alle Schulen und Bildungseinrichtungen bringen zu können, müssen hier auf Landesebene noch einmal mindestens 10-13 Milliarden Euro investiert werden.
Nur mit diesen Grundlagen kann auch Technologiekompetenz vermittelt werden. Das bedeutet ein fundiertes Verständnis für Informationstechnologien. Daher muss Informatik endlich als Pflichtfach in den Curricula verankert werden, wie es Expertinnen und Experten seit mittlerweile 30 Jahren fordern. Dabei geht es darum, grundlegend zu verstehen wie die Codes funktionieren, die unser gesamtes Leben mittlerweile umfassend prägen.
Wie verhalten sich Medienbildung und Medienpolitik zueinander, z.B. bei Datenschutz und der Verantwortung von Konzernen im Fall von Fake-News?
Medienbildung und Medienkompetenz ist der Schlüssel, um sich selbstbestimmt in der digitalen Welt bewegen zu können. Dennoch wäre es kurzsichtig und politisch unverantwortlich, die Verantwortung für den Datenschutz oder die Bewertung von Nachrichteninhalten allein den Nutzerinnen und Nutzern aufzubürden. Hier braucht es klare, politische Rahmenbedingungen
Spätestens wenn es um besonders sensible Dinge wie Gesundheits- oder Bankdaten geht, findet das Mantra „Ich habe doch nichts zu verbergen“bei jedem und jeder seine Grenzen. Beim vernetzten Fahren hat man überhaupt keine Kontrolle mehr über die Weitergabe seiner Bewegungsdaten. Im Internet der Dinge übertragen sich inzwischen intelligente Fernseher, Zahnbürsten, Kühlschränke und Fitnessarmbänder unsere Daten gegenseitig. Das zeigt, wie sehr die Herausforderungen an den Datenschutz in den vergangenen Jahren gestiegen sind.
Es gibt aber auch erste politische Erfolge: Maßgeblich durch grünes Engagement hat sich die Europäische Union eine neue Datenschutz-Grundverordnung gegeben. Damit gibt es erstmals eine gesetzliche Grundlage, auch außereuropäischen Konzerne in die Pflicht zu nehmen, wenn sie mit unseren Daten arbeiten Bei Verstößen können Bußgelder von bis zu 4 Prozent des Jahresumsatzes verhängt werden. Nutzerinnen und Nutzer haben ein „Recht auf Vergessen“ und Löschung ihrer Daten. Und Produkte und Angebote müssen von Anfang an möglichst datensparsam arbeiten.
Die aktuelle politische Diskussion um Hate Speech und Fake News zeigt aber auch, dass wir um eine angemessene medienpolitische Diskussion über die Aufsicht über digitale Inhalte nicht länger herumkommen. Rundfunk und Fernsehen unterlegen wegen ihrem großen Einfluss auf die Meinungsbildung einer Regulierung. Da stellt sich die Frage, warum Plattformen wie Facebook oder YouTube, die eine wesentlich höhere Reichweite erlangen, keine Verantwortung für die auf ihnen verbreiteten Inhalte übernehmen müssen.
Der Medienbegriff muss auch auf Soziale Medien angepasst und ausgeweitet werden. Die Plattformen müssen sich auf journalistische Grundsätze verpflichten.
Daneben gibt es gerade im Bereich von Hate Speech und anderen Straftaten auch bereits heute Löschpflichten. Diese brauchen allerdings deutlich bessere Durchsetzungsmöglichkeiten als heute. Die Unternehmen müssen verantwortliche Ansprechpartner benennen, die Meldewege für die Betroffenen vereinfacht werden.
Klar ist aber auch, dass eine Löschpflicht der Netzanbieter allein das Problem nicht löst. Das von der Bundesregierung beschlossene Gesetz ist aus unserer Sicht unausgegoren. Wir lehnen insbesondere den im Gesetzentwurf vorgesehen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch ab.
Stattdessen bedarf es im Zweifelsfall bei strafbaren Inhalten auch einer effektiveren Strafverfolgung. Die Zahl der Verfahrenseinstellungen könnten deutlich verringert werden, mit einer verbesserten Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sowie mit einer Konkretisierung der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren. So kann die Staatsanwaltschaft die fraglichen Netzinhalte genauer prüfen und somit den Betroffenen zu Ihrem Recht verhelfen.
Die Netzwerke mehr in die Pflicht zu nehmen, heißt also keineswegs eine Vorab-Zensur oder unverhältnismäßige Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit zu befürworten, im Gegenteil. Es geht darum, sinnvolle Schutz- und Regulierungsmaßnahmen aus der analogen Welt auch für den digitalen Bereich zu adaptieren.