Wissenschaftspolitik braucht Substanz, keine Superlative

PLENARREDE

Im Sommer dieses Jahres hat das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt eine Hightech Agenda für Deutschland angekündigt. Deren zentrale Ziele sind neben dem Ausbau der Forschung in Zukunftstechnologien die Stärkung der Hochschulen und der außerschulischen Forschung, die Beschleunigung technologischer Entwicklungen für Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Gewinnung internationaler Spitzenkräfte. In einem Dringlichkeitsantrag (Drs.19/8827) forderten CSU und FREIE WÄHLER die Staatsregierung auf, die geplanten Strukturreformen und Maßnahmen für mehr Freiheit und weniger Bürokratie im Sinne Bayerns zu begleiten. Die Priorität wird vor allem darauf gesetzt, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Wissenschaft nachhaltig zu stärken, etwa durch umfassende Investitionen und Beschleunigungen beim Ausbau der Forschungsinfrastruktur und einen Abbau der Bürokratie.

In ihrer Rede hebt Verena Osgyan hervor, dass sie Initiativen zur Stärkung der Forschung zwar begrüße, kritisiert jedoch, dass der Antrag falsche Prioritäten setze und zentrale Probleme wie etwa marode Hochschulgebäude und unzureichende Unterstützung für die Lehre ignoriere. Sie fordert daher eine echte Sanierungsoffensive, verlässliche Finanzierung und solide Strukturen.

Die ganze Rede in schriftlicher Form ist hier zu finden (es gilt das gesprochene Wort):

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich sehe schon – Begrüßungsanträge an die Bundesregierung haben hier gerade Hochkonjunktur. Das ist zwar etwas wohlfeil, aber Spaß beiseite: Natürlich freue auch ich mich, wenn im Bund Initiativen entstehen, die Wissenschaft und Forschung stärken.

Auch wenn es sich bei diesem Antrag eher um Vorschusslorbeeren handelt, werden Themen adressiert, die wir seit Langem einfordern – etwa ein Forschungsdatengesetz oder ein Bund-Länder-Programm, um den gigantischen Sanierungsstau an Hochschulen abzubauen. Allein hier im Freistaat sprechen wir nach Zahlen der Universität Bayern e.V. von rund 15 Milliarden Euro.

Wer allerdings Ihre Begründung liest, könnte glauben, wir lebten hier im wissenschaftlichen Paradies. Die Realität sieht anders aus: Die Kehrseite der vielgelobten Hightech-Agenda sind Kürzungen an Hochschulen, gestrichene Mittel und Gebäude, in die es sturzbachartig hereinregnet. Während in manchen Hörsälen der Betrieb eingestellt wird, Dozierende um Lehraufträge bangen und Studierende mit Eimern das Wasser auffangen, werden lieber munter weiter neue Leuchttürme angekündigt.

Dabei sind wir uns an einem Punkt einig: Wissenschaft und Forschung brauchen Investitionen – auf Bundes- wie auf Landesebene. Und ja, wir brauchen Freiraum zum Forschen, schnellere Verfahren und digitale Infrastrukturen.

Aber es wirkt doch etwas absurd, wenn gerade die CSU nun den „radikalen Bürokratieabbau“ fordert – denn viele der Probleme, unter denen Hochschulen und Forschende leiden, sind hausgemacht.

Was also braucht es wirklich, um voranzukommen?

Erstens: Ein klares Bekenntnis zu Lehre und Verwaltung.
Sie sprechen von Innovation und Technologie – aber kein Wort über die Bereiche, ohne die Wissenschaft im Alltag gar nicht funktioniert. Gute Lehre braucht Zeit, Ausstattung und verlässliche Strukturen. 

Und eine funktionierende Verwaltung ist die Grundlage für den Bürokratieabbau, den Sie fordern. Wer hier spart, spart an der Substanz.

Zweitens: Eine echte Sanierungsoffensive.
Gesprerrte Hörsäle, marode Labore und zusammenbrechende Infrastruktur prägen derzeit das Bild vieler Hochschulen. Gerade in den letzten Wochen war dies breit in der Berichterstattung. Die Antwort der Staatsregierung? Schweigen – und nun der Ruf nach „Radikaler Entschlackung des Umweltrechts“. Das ist nicht mutig, das ist ein fahrlässiges Ablenkungsmanöver. Denn die Misere ist nicht durch Umweltstandards entstanden, sondern durch jahrzehntelangen Investitionsstau. Bayern hat beim Bauunterhalt sträflich versäumt, Verantwortung zu übernehmen.

Nachhaltige Wissenschaftspolitik zeigt sich daran, wie sie mit dem Bestand umgeht – und hier wurde viel zu lange weggeschaut.

Drittens: Mehr Grundfinanzierung.
Wenn Forschende immer mehr Zeit mit Anträgen verbringen, liegt das auch daran, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen nicht mehr ausreicht. Es ist gut, wenn der Zugang zu Drittmitteln erleichtert wird – aber machen wir uns nichts vor, Forschungsgelder beispielsweise der DFG werden aus gutem Grund wettbewerblich vergeben, und dafür wird es auch weiterhin Forschungsanträge geben müssen, um hier eine sinnvolle Bewertung treffen zu können.
Echte Forschungsfreiheit entsteht dort, wo Planungssicherheit herrscht. Und dafür braucht es verlässliche staatliche Finanzierung. Wer hier nur auf den Bund zeigt, macht es sich zu leicht – die Verantwortung liegt auch beim Freistaat.

Was ebenfalls fehlt, ist die Investition in Köpfe.
Um die besten Talente zu halten, brauchen wir faire Bedingungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs. War nicht im Koalitionsvertrag eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes angekündigt? Wo bleibt sie? Und was ist mit dem BAföG – außer einer Namensänderung?

Zusammengefasst:
Dieser Antrag benennt wichtige Themen, setzt aber falsche Prioritäten. Er spricht von „Freiheit für die Forschung“, ignoriert aber die strukturellen Probleme, für die der Freistaat selbst verantwortlich ist.
Wissenschaftspolitik darf kein Schaulaufen mit Superlativen sein. Sie muss die alltäglichen Probleme lösen – in der Lehre, im Bauunterhalt und in der Finanzierung.

Wir werden uns daher enthalten. Im Sinne eines:
Ja – zur besseren Forschungsförderung, aber nicht ohne die Lehre mitzudenken.
Ja – zu effizienteren Verfahren, aber nicht auf Kosten von Standards.
Und Ja – zur Hightech-Agenda, aber bitte mit einer ehrlichen Bilanz.

Vielen Dank.